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Die Liebe des letzten Tycoon

Die Liebe des letzten Tycoon

Titel: Die Liebe des letzten Tycoon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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da jemand küsst. Es war die Sache wert.«
    »Wieso gerade hier?«, fragte Stahr gespannt.
    »Vor dem Orakel«, sagte Zavras. »Vor dem Enträtsler der Eleusinischen Mysterien. Den Burschen, der das Gerücht in Umlauf gebracht hat, möchte ich mal in die Finger kriegen.«
    »Wenn ich Sie reden höre, bedaure ich, dass ich so ungebildet bin«, sagte Stahr.
    [104] »Bildung nützt einem gar nichts. Ich habe in Saloniki Abitur gemacht, und Sie sehen ja, wohin mich das gebracht hat.«
    »Nicht so ganz.«
    »Falls Sie mal den Wunsch haben, jemandem die Kehle durchschneiden zu lassen – ich stehe im Telefonbuch«, sagte Zavras. »Tag und Nacht zu Diensten.«
    Stahr schloss die Augen und machte sie wieder auf. Die Gestalt von Zavras, die sich dunkel vor der Sonne abhob, verschwamm ihm plötzlich vor den Augen. Er hielt sich an dem hinter ihm stehenden Tisch fest und sagte in ganz normalem Ton: »Mach’s gut, Pete.«
    Das Zimmer war jetzt fast schwarz, aber er zwang seine Füße, den gewohnten Weg in sein Büro zurückzulegen, und erst als die Tür sich mit einem Klick geschlossen hatte, tastete er nach den Tabletten. Der Wasserkrug stieß klirrend an den Tisch, das Glas schepperte. Er setzte sich in einen Sessel und wartete, bis das Benzedrin gewirkt hatte. Dann ging er essen.

[105] 9
    Als Stahr von der Kantine zurückkam, streckte sich eine winkende Hand aus einem offenen Roadster. An den Köpfen, die aus dem Fond ragten, erkannte er einen jungen Schauspieler und seine Freundin und sah ihnen nach, wie sie durch das Tor rollten und eins mit dem sommerlichen Dämmerlicht wurden. Immer mehr kam ihm das Gefühl für derlei Dinge abhanden, es schien fast, als sei mit Minna auch das Berührende solcher Eindrücke dahin; sein Blick für das Erhabene schwand, bald würde ihm der Luxus ewiger Trauer ganz verlorengehen. Einer kindischen Gedankenverbindung von Minna und materiellem Himmelreich folgend, ließ er, im Büro angekommen, zum ersten Mal in diesem Jahr seinen Roadster vorfahren. In der großen Limousine lauerten Erinnerungen an langwierige Sitzungen oder erschöpften Schlaf.
    Als er das Filmgelände verließ, war er noch angespannt, aber der offene Wagen brachte ihm und seiner Wahrnehmung den Sommerabend näher. Am Ende des Boulevards stand der Mond, und es war eine schöne Illusion, dass er jeden Abend, jedes Jahr ein anderes Gesicht zeigte. In Hollywood schienen seit Minnas Tod andere Lichter. Von den Zitronen und Grapefruits und grünen Äpfeln auf den offenen Märkten fiel in schrägen Bahnen ein milchiger [106] Reflex auf die Fahrbahn. Vor ihm leuchtete das Bremslicht eines Wagens violett auf, an einer anderen Kreuzung begegnete er dem gleichen Leuchten wieder. Überall harkte Flutlicht den Himmel. An einer unbelebten Ecke lenkten zwei geheimnisvolle Männer das Licht einer glänzenden Trommel in willkürlichen Bögen über den Himmel.
    Im Drugstore stand eine Frau an der Süßwarentheke. Sie war groß, fast so groß wie Stahr, und befangen. Offenbar war dies eine heikle Situation für sie, und hätte Stahr nicht einen so ausgesprochen höflichen und rücksichtsvollen Eindruck gemacht, hätte sie es sich wohl noch anders überlegt. Sie begrüßten sich und gingen hinaus, ohne ein weiteres Wort, ja, fast ohne einen Blick zu wechseln. Noch ehe sie am Straßenrand standen, wusste Stahr, dass dies eine hübsche Amerikanerin war und nicht mehr, keine Schönheit wie Minna.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte sie. »Ich hatte mit einem Chauffeur gerechnet. Egal – ich kann gut boxen.«
    »Boxen?«
    »Klingt nicht sehr höflich, was?« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Aber man hört doch immer, dass Sie und Ihresgleichen solche Scheusale sind.«
    Dass man ihn für einen Finsterling halten konnte, amüsierte Stahr zunächst, plötzlich aber konnte er nicht mehr darüber lachen.
    »Warum wollten Sie mich sprechen?«, fragte sie und stieg ein.
    Er blieb einen Augenblick regungslos stehen. Am liebsten hätte er ihr gesagt, sie solle sofort wieder aussteigen. Aber sie hatte es sich im Wagen schon bequem gemacht, [107] und schließlich war er an dieser misslichen Situation selber schuld, also biss er die Zähne zusammen und setzte sich ans Steuer. Das Licht der Straßenlaterne fiel auf ihr Gesicht, und er mochte kaum glauben, dass dies die Frau von gestern Abend war. Er konnte nicht die Spur einer Ähnlichkeit mit Minna ausmachen.
    »Ich fahre Sie nach Hause«, sagte er. »Wo wohnen Sie?«
    »Nach Hause?«, wiederholte sie

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