Die Liebe des letzten Tycoon
Zimmer hinein, die Papiere auf seinem Schreibtisch wisperten, sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen vor der aufdringlichen Wirklichkeit des Tages da draußen. Könnte er jetzt einfach gehen – was würde geschehen, wenn er sie wiedersah?
Das geheimnisvoll leuchtende Gesicht, den kräftig geschwungenen Mund, immer bereit zu einem armen tapferen menschlichen Lachen.
»Ich würde gern mit Ihnen reden. Hätten Sie Lust, ins Studio zu kommen?«
Wieder das Zögern – dann eine glatte Abfuhr.
»Ach nein, das geht nicht. Tut mir wirklich leid.« Der letzte Satz war nur eine Phrase. Sie wollte tatsächlich nicht. [101] Ganz normale oberflächliche Eitelkeit kam Stahr zu Hilfe, verlieh seinem Drängen Überzeugungskraft.
»Ich würde Sie so gern sehen. Ich habe einen bestimmten Grund.«
»Ja… also…«
»Könnte ich zu Ihnen kommen?«
Eine Pause – nicht des Zögerns, sondern weil sie ihre Gedanken sammeln musste.
»Es gibt da etwas, was Sie nicht wissen«, sagte sie dann.
»Wenn Sie damit sagen wollen, dass Sie verheiratet sind – damit hat es überhaupt nichts zu tun«, gab er ungeduldig zurück. »Sie können ganz offen herkommen, auch mit Ihrem Mann, wenn Sie wollen.«
»Das ist… völlig unmöglich.«
»Warum?«
»Ich wollte eigentlich gar nicht mit Ihnen sprechen, aber Ihre Sekretärin hat nicht lockergelassen. Da hab ich gedacht, ich hätte gestern Abend bei der Überschwemmung was verloren und Sie hätten es gefunden.«
»Ich würde Sie gern sehen. Nur fünf Minuten.«
»Um mich zum Film zu bringen.«
»Das war nicht meine Absicht.«
Das Schweigen währte so lange, dass er dachte, er hätte sie vor den Kopf gestoßen.
»Wo könnten wir uns treffen?«, fragte sie unvermittelt.
»Hier? In Ihrem Haus?«
»Nein. Irgendwo anders.«
Stahr wollte beim besten Willen nichts einfallen. Bei sich daheim… in einem Restaurant… Wo traf man sich? In einem öffentlichen Haus?… In einer Cocktailbar?
[102] »Wenn Sie unbedingt wollen, könnten wir uns um neun irgendwo treffen.«
»Das geht leider nicht.«
»Dann lassen wir’s eben.«
»Also gut, um neun, aber dann irgendwo hier in der Nähe. Auf dem Wilshire ist ein Drugstore…«
Viertel vor sechs. Draußen warteten zwei Männer, die sich jeden Tag um diese Zeit einstellten und immer wieder vertröstet wurden. In dieser Stunde setzte Erschöpfung ein. Das, was diese Männer zu ihm führte, war nicht so wichtig, dass es gleich erledigt werden musste, aber auch nicht so belanglos, dass man es hätte ignorieren können. Stahr ließ sie also erneut vertrösten, blieb einen Augenblick regungslos am Schreibtisch sitzen und richtete seine Gedanken auf Russland. Nicht so sehr auf Russland als auf einen Film über Russland, der in Kürze eine fruchtlose halbe Stunde verschlingen würde. Er wusste, dass es viele Storys über Russland gab, ganz zu schweigen von der Geschichte, und seit über einem Jahr war eine Kompanie von Drehbuchschreibern und Rechercheuren mit dem Thema befasst, aber alles, was sie zustande brachten, hatte einen falschen Ton. Er hatte sich vorgestellt, dass man die Geschichte etwa so wie die der dreizehn Gründerstaaten von Amerika erzählen könnte, aber immer kam etwas anderes heraus, ein neuer Sinn, der unerquicklichen Fragen und Problemen Tür und Tor öffnete. Er fand, dass er Russland gegenüber sehr fair war, er hatte die besten Absichten, einen verständnisvollen Film zu machen, stattdessen brachte ihm das Projekt ständig nur Ärger.
[103] »Mr. Drummon ist draußen, Mr. Stahr, mit Mr. Kirstoff und Mrs. Cornhill, es geht um den russischen Film.«
»Schön, schicken Sie die drei herein.«
Von halb sieben bis halb acht sah er sich die Muster vom Nachmittag an. Wäre er nicht verabredet gewesen, hätte er den frühen Abend im Vorführraum oder im Tonstudio verbracht, aber wegen des Erdbebens war die Nacht kurz gewesen, und er beschloss, essen zu gehen. Im Vorzimmer wartete Pete Zavras, den Arm in der Schlinge.
»Sie sind der Aischylos und Diogenes der Filmwelt«, sagte Zavras schlicht. »Ebenso der Asklepios und Menander.«
Er machte eine Verbeugung.
»Und wer sind die?«, fragte Stahr lächelnd.
»Meine Landsleute.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie auch in Griechenland drehen.«
»Sie machen Witze, Monroe. Ich wollte Ihnen sagen, dass Sie ein ganz großartiger Kerl sind. Sie haben mich gerettet. Hundertprozentig.«
»Wie geht es Ihnen denn jetzt?«
»Das mit dem Arm hat nichts zu sagen. Er fühlt sich an, als ob mich
Weitere Kostenlose Bücher