Die Liebe des letzten Tycoon
Dutzend Stars für die Benefizveranstaltung zugunsten der durch das Erdbeben obdachlos Gewordenen in Long Beach ausleihen. In plötzlicher Spenderlaune brachten sie zu fünft auf einen Schlag 25 000 Dollar zusammen. Sie gaben reichlich, aber nicht so, wie Arme geben. Nicht aus Nächstenliebe.
Im Büro erwartete ihn ein Brief des Augenarztes, zu dem er Pete Zavras geschickt hatte, in dem dieser Stahr mitteilte, dass die Sehschärfe des Kameramanns fast hundert Prozent betrug und dass er darüber einen Bericht geschrieben hatte, den Zavras jetzt fotokopieren ließ. Stahr lief stolzgeschwellt in seinem Büro hin und her, und Miss Doolan bewunderte ihn. Prinz Agge war vorbeigekommen, um sich für den Nachmittag am Set zu bedanken, und während ihres Gesprächs kam die kryptische Meldung eines [98] Projektleiters, zwei Drehbuchschreiber namens Marquand hätten es »rausgekriegt« und wollten aussteigen. »Die beiden sind gut«, erläuterte Stahr. »Wir haben hier keine guten Drehbuchschreiber.«
»Und warum holen Sie sich keine?«, fragte sein Besucher überrascht.
»Das tun wir ja, aber wenn sie dann kommen, taugen sie nichts, und wir müssen mit dem Material arbeiten, das wir haben.«
»Nämlich?«
»Mit allen, die das System akzeptieren und einigermaßen nüchtern bleiben… es ist eine bunte Mischung… enttäuschte Poeten, Bühnenschriftsteller mit einem einzigen Erfolgsstück, Studentinnen… wir setzen sie paarweise auf eine Idee an, und wenn die Luft raus ist, schieben wir noch zwei Schreiber nach. Ich habe schon bis zu drei Zweierteams unabhängig an die gleiche Idee gesetzt.«
»Ist ihnen denn das recht?«
»Nicht, wenn sie Bescheid wissen. Es sind keine Genies, keiner könnte auf andere Weise je so viel verdienen. Aber die Marquands, ein Ehepaar aus dem Osten, sind als Bühnenschriftsteller ziemlich gut. Sie haben gerade rausgekriegt, dass sie nicht allein an der Story arbeiten, und sind schockiert. Damit geht die gewachsene Einheit verloren, werden sie sagen.«
»Und was macht diese… gewachsene Einheit aus?«
Stahr zögerte. Er sah grimmig drein, aber seine Augen blitzten durchtrieben.
»Die gewachsene Einheit – das bin ich. Besuchen Sie uns mal wieder.«
[99] Er ließ die Marquands kommen. Ihre Arbeit habe ihm gefallen, sagte er und sah Mrs. Marquand an, als könne er durch das Typoskript hindurch ihre Handschrift erkennen. Er habe die Absicht, sie für einen anderen Film einzusetzen, mit weniger Druck und mehr Zeit. Wie er vermutet hatte, flehten sie ihn an, beim ersten Film bleiben zu dürfen, weil sie dort schnelleren Ruhm witterten, auch wenn sie ihn mit anderen würden teilen müssen. Das System sei schändlich, räumte er ein – ungerecht, kommerziell, höchst bedauerlich. Dass er es erfunden hatte, verschwieg er. Sie waren kaum weg, als mit Siegermiene Miss Doolan hereinkam.
»Die Dame mit dem Gürtel ist am Apparat, Mr. Stahr.«
Stahr setzte sich an den Schreibtisch. Als er nach dem Hörer griff, war sein Herz bleischwer. Er wusste nicht, was er wollte, hatte die Frage nicht so durchdacht, wie er das Problem Pete Zavras durchdacht hatte. Zunächst hatte er nur wissen wollen, ob die beiden »vom Fach« waren, ob die Frau eine Schauspielerin war, die sich wie Minna hergerichtet hatte, so wie er einmal eine junge Schauspielerin wie Claudette Colbert hatte schminken und aus den gleichen Winkeln hatte aufnehmen lassen.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo.«
Während er das kurze, recht verwunderte Wort nach einer Schwingung der vergangenen Nacht abhorchte, regte sich wieder das Grauen in ihm, und er hatte große Mühe, es zu unterdrücken.
»Sie waren nicht leicht zu finden«, sagte er. » Smith – und gerade erst hergezogen. Mehr hatten wir nicht. Und einen silbernen Gürtel.«
[100] »Stimmt«, sagte die Stimme noch immer gehemmt und unsicher. »Gestern Abend habe ich einen silbernen Gürtel getragen.«
Wie weiter?
»Wer sind Sie überhaupt?«, fuhr die Stimme mit einem Anflug gekränkter Spießerwürde fort.
»Mein Name ist Monroe Stahr.«
Schweigen. Auf der Leinwand tauchte der Name nie auf, sie hatte offenbar Mühe, ihn unterzubringen.
»Ach ja, richtig… Sie waren mit Minna Davis verheiratet.«
»Ja.«
War das ein Trick? Als das Bild der vergangenen Nacht vor ihm erschien – die gleiche Haut, der seltsam phosphoreszierende Glanz –, überlegte er, ob jemand versuchte, mit diesem Kniff an ihn heranzukommen. Nicht Minna und doch Minna. Die Vorhänge wehten plötzlich ins
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