Die Liebe des letzten Tycoon
nicht studiert, wenn du das meinst. Aber der Mann, von dem ich dir erzählt habe, wusste alles und wollte mich unbedingt bilden. Er hat Lehrpläne aufgestellt und mich zu Vorlesungen an die Sorbonne und ins Museum geschickt. Da habe ich dies und das aufgeschnappt.«
»Was war er denn?«
»So was wie ein Maler. Ein Draufgänger. Und noch vieles mehr. Er wollte, dass ich Spengler lese – alles war auf dieses Ziel abgestellt. Geschichte und Philosophie und Harmonie – alles nur, damit ich Spengler lesen konnte. Und dann habe ich ihn verlassen, ehe Spengler dran war. Ich glaube, letztlich wollte er mich vor allem deshalb nicht gehen lassen.«
»Wer war Spengler?«
»Wie gesagt – bis zu dem sind wir gar nicht gekommen«, lachte sie. »Und jetzt bin ich damit beschäftigt, das alles wieder zu vergessen, denn einen Mann wie ihn werde ich kaum noch einmal kennenlernen.«
[151] »Aber das darfst du nicht«, protestierte Stahr. Gelehrsamkeit war für ihn ein hohes Gut – wohl eine Erinnerung seiner Rasse an die schul . »So etwas darf man nicht vergessen.«
»Es war nur ein Ersatz für Kinder.«
»Du könntest es deinen Kindern beibringen.«
»Meinst du?«
»Aber ja. Dann bekommen sie es mit, solange sie noch klein sind. Wenn ich etwas wissen will, muss ich bei einem betrunkenen Drehbuchschreiber nachfragen. So was wirft man nicht weg.«
Sie stand auf. »Abgemacht – ich geb’s an meine Kinder weiter. Aber es ist so uferlos – je mehr du weißt, desto mehr kommt nach, es hört nie auf. Dieser Mann hätte jedes Ziel erreichen können, wenn er nicht ein Feigling und ein Narr gewesen wäre.«
»Aber du hast ihn geliebt.«
»Ja, von ganzem Herzen.« Sie legte eine Hand an die Stirn und sah aus dem Fenster. »Wie hell es draußen ist. Komm, wir gehen zum Strand.«
Er sprang auf. »Das werden die Grunions sein!«
»Was?«
»Heute Nacht. Es steht in allen Zeitungen.« Er lief nach draußen, und sie hörte, wie er die Wagentür aufmachte. Gleich darauf kam er mit einer Zeitung zurück.
»Um zehn Uhr sechzehn. Noch fünf Minuten.«
»So was wie eine Sonnenfinsternis?«
»Sehr pünktliche Fische. Lass Schuhe und Strümpfe liegen und komm.«
Es war eine wunderbare blaue Nacht. Die Flut setzte gerade ein, und die kleinen silbernen Fische wiegten sich vor [152] der Küste und warteten, bis es zehn Uhr sechzehn war. Sekunden später schwärmten sie mit der Flut heran, und Stahr und Kathleen traten barfuß zwischen die hochschnellenden Leiber, die zuckend im Sand landeten. Ein Neger kam am Strand entlang auf sie zu und sammelte die Grunions wie dürre Zweige in zwei Eimer. Zu zweit und zu dritt, in Abteilungen und Kompanien, rastlos, sieghaft, unbekümmert sprangen sie um die großen nackten Füße der Eindringlinge herum wie einst, als Francis Drake noch nicht seine Tafel auf den Findling am Strand genagelt hatte. »Hätt noch ’n Eimer haben sollen«, sagte der Neger, einen Augenblick innehaltend.
»Sie kommen von weit her«, sagte Stahr.
»Früher bin ich nach Malibu gegangen, aber diese Filmfritzen sehn das nicht gern.«
Eine hereinschwappende Welle schlug sie in die Flucht, zog sich rasch zurück und hinterließ wieder wimmelnden Sand.
»Lohnt sich der Weg?«, fragte Stahr.
»Darum geht’s mir nicht. Eigentlich komm ich her, um Emerson zu lesen. Haben Sie schon mal was von dem gelesen?«
»Ich schon«, sagte Kathleen. »Das eine oder andere.«
»Er steckt hier im Hemd. Zusammen mit ein paar Sachen von den Rosenkreuzlern, aber von denen hab ich die Nase voll.«
Der Wind hatte gedreht, weiter unten waren die Wellen stärker, und sie liefen an der schäumenden Brandung entlang.
Der Neger wandte sich an Stahr. »Was arbeiten Sie?«
[153] »Ich arbeite für den Film.«
»Soso.« Eine Pause. »Ich geh nie ins Kino.«
»Warum nicht?«, fragte Stahr scharf.
»Bringt nichts. Ich lass auch meine Kinder nicht hin.«
Stahr blickte auf den Neger, und Kathleen blickte schutzbereit auf Stahr.
»Es gibt auch gute Filme«, rief sie über eine Gischtwelle hinweg, aber das hörte der Neger nicht. Sie hatte das Gefühl, ihm gefahrlos widersprechen zu können, und wiederholte den Satz, aber er verzog keine Miene.
»Sind die Rosenkreuzler gegen das Kino?«, fragte Stahr.
»Die scheinen selber nicht zu wissen, wofür sie sind. In der einen Woche sind sie für das eine und in der nächsten für was anderes.«
Nur die kleinen Fische wussten, was sie wollten. Eine halbe Stunde war vergangen, und noch immer kamen sie
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