Die Liebe des letzten Tycoon
Thema erkennen. Es würde getarnt daherkommen – als das Hupen der Autos auf den Technicolor-Boulevards unter ihm oder kaum hörbar, ein Wirbel auf der gedämpften Trommel des Mondes. Er horchte angestrengt und wusste nur, dass die Musik einsetzte, eine neue Musik, die er mochte und nicht verstand. Es war schwer, sich auf etwas einzulassen, was man nicht ganz erfassen konnte, es war neu und verwirrend, man konnte es nicht mittendrin abstellen und sich den Rest aus einer anderen Partitur holen.
Außerdem war da – beharrlich und von dem anderen Problem nicht zu trennen – der Neger am Strand. Er wartete auf Stahr zu Hause mit seinen Eimern voll silberner [157] Fische, und er würde am nächsten Morgen im Studio auf ihn warten. Er hatte gesagt, dass seine Kinder sich nicht Stahrs Geschichten anhören durften. Er war voreingenommen und im Unrecht, und auf die eine oder andere Art musste ihm das klargemacht werden. Ein Film, viele Filme, ein Dutzend Filme mussten gedreht werden, um ihm zu zeigen, dass er Unrecht hatte. Seit der Äußerung des Negers hatte Stahr vier Filme aus der Planung gestrichen, von denen einer diese Woche Drehbeginn gehabt hätte. Es waren vom Gewinn her gesehen Grenzfälle, aber er hatte die Grenzfälle dem Neger vorgelegt und begriffen, dass sie nichts taugten. Und er nahm einen schwierigen Film wieder in seine Liste auf, den er schon den Wölfen – Brady, Marcus und der ganzen Bande – zum Fraß vorgeworfen hatte, um sich in einem anderen Punkt durchsetzen zu können. Er wollte ihn für den Neger retten.
Als er vor seiner Haustür hielt, ging in der Veranda das Licht an, und sein Filipino kam die Stufen herunter, um den Wagen wegzufahren. In der Bibliothek fand Stahr eine Liste von Anrufern.
– La Borwits
– Marcus
– Harlow
– Rienmund
– Fairbanks
– Brady
– Colman
– Skouras
– Flieshacker
[158] Der Filipino kam mit einem Brief herein.
»Das ist aus dem Wagen gefallen«, meldete er.
»Danke«, sagte Stahr. »Ich hatte ihn schon vermisst.«
»Wollen Sie heute noch einen Film ansehen, Mr. Stahr?«
»Nein, danke. Du kannst schlafen gehen.«
Verblüfft sah er, dass der Brief adressiert war an Monroe Stahr, Esquire. Er wollte ihn schon aufmachen, als ihm einfiel, dass sie den Brief ja hatte zurückhaben wollen, vielleicht ganz zurücknehmen wollte.
Hätte sie Telefon gehabt, hätte er sie angerufen, um sich die Erlaubnis zu holen, ihn zu öffnen. Er behielt ihn einen Augenblick in der Hand. Der Brief war vor ihrem Treffen geschrieben worden. Ein seltsamer Gedanke, dass alles, was darin stand, jetzt nicht mehr galt, der Brief besaß den Reiz eines Souvenirs, weil er eine Stimmung wiedergab, die Vergangenheit war.
Trotzdem widerstrebte es ihm, den Brief zu lesen, ohne sie gefragt zu haben. Er legte ihn neben einen Stapel von Scripts, setzte sich und nahm das oberste zur Hand. Er war stolz darauf, dass er seiner ersten Regung, den Brief aufzumachen, nicht nachgegeben hatte. Das bewies doch wohl, dass er nicht Gefahr lief, »den Kopf zu verlieren«. Bei Minna hatte er nicht einmal am Anfang den Kopf verloren. Es war eine denkbar angemessene und noble Verbindung gewesen. Sie hatte ihn immer geliebt, und unmittelbar vor ihrem Tod war gegen seinen Willen und zu seiner Überraschung seine Zärtlichkeit hervorgebrochen, und er hatte sich in sie verliebt – in Minna und zugleich in den Tod, denn die Welt, in die sie nun blickte, war so einsam, dass er sie gern dorthin begleitet hätte.
[159] Aber er hatte sein Leben nie von »Weibergeschichten« bestimmen lassen. Sein Bruder war wegen einer Frau durchgedreht oder vielmehr wegen einer Frau und noch einer und so immer weiter. Stahr dagegen hatte sie in jungen Jahren immer nur einmal gehabt – so wie man sich strikt einen einzigen Drink verordnet.
Er hatte ein Abenteuer ganz anderer Art im Sinn, etwas Besseres als eine lange Reihe emotionaler Kurzbrenner. Wie viele Ausnahmenaturen war er als Heranwachsender gefühlskalt gewesen. Von seinem zwölften Lebensjahr an hatte er mit der radikalen Abwehrhaltung, wie man sie gerade bei geistig ungewöhnlich begabten Menschen findet, nach dem Motto »Es stimmt doch hinten und vorn nichts in der Welt, ist doch nur Lüge und Scharlatanerie und ein einziges Schlamassel« alles und jedes negiert, sich dann aber, statt wie die meisten Menschen dieses Typs zu einem ausgewachsenen Ekel zu werden, in der entstandenen Ödnis umgesehen und sich gesagt: »So geht es nicht!« Und hatte Toleranz,
Weitere Kostenlose Bücher