Die Liebe des letzten Tycoon
Güte, Schonung, ja sogar Zuneigung gelernt wie ein Schüler seine Lektion.
Der Filipino brachte einen Krug Wasser und Schalen mit Nüssen und Obst und sagte gute Nacht. Stahr schlug das erste Drehbuch auf und begann zu lesen.
Er las drei Stunden; von Zeit zu Zeit hielt er inne, um – ohne Stift – zu redigieren. Hin und wieder sah er auf, beschwingt von einem vagen Glücksgedanken, der nicht im Drehbuch stand, und jedesmal dauerte es eine Minute, bis ihm einfiel, was dahintersteckte. Dann begriff er, dass es Kathleen war, und warf einen Blick auf den Brief. Wie nett, einen Brief zu bekommen.
[160] Um drei signalisierte ihm eine pochende Ader auf dem Handrücken, dass er Schluss machen musste. Kathleen war, je später es wurde, immer weiter von ihm weggerückt, die unterschiedlichen Seiten ihres Wesens flossen zu der Erinnerung an eine einzige aufregende Frau zusammen, die ihm nur für ein paar kurze Stunden angehört hatte. Er fand nun nichts mehr dabei, den Brief aufzumachen.
Lieber Mr. Stahr,
in einer halben Stunde werde ich mich mit Ihnen treffen. Wenn wir uns Lebewohl sagen, werde ich Ihnen diesen Brief geben, aus dem Sie erfahren sollen, dass ich bald heiraten werde und Sie nach dem heutigen Tag nicht mehr werde sehen können.
Ich hätte es Ihnen wohl schon gestern Abend sagen müssen, aber da dachte ich noch, dass es Sie nichts angeht. Und es wäre töricht, den schönen Nachmittag durch diese Mitteilung zu verderben und zu erleben, wie Sie allmählich das Interesse an mir verlieren. Verlieren Sie es jetzt – ein für allemal! Ich habe Ihnen genug von mir erzählt, um Sie davon zu überzeugen, dass mit mir niemand das große Los ziehen würde (so hat es meine gestrige Begleiterin ausgedrückt, die eine Stunde bei mir geblieben ist. Offenbar denkt sie, dass Sie der Einzige sind, mit dem man das große Los ziehen würde, und ich soll Ihnen wohl klarmachen, dass sie das denkt, glaube ich. Also geben Sie ihr einen Job, wenn Sie können).
Es ehrt mich sehr, dass jemand, der mit so vielen schönen Frauen zusammen – ich bringe den Satz nicht zu Ende, aber Sie wissen, was ich meine. Und wenn ich mich [161] nicht sofort auf den Weg zu unserer Verabredung mache, komme ich zu spät.
Mit allen guten Wünschen
Kathleen Moore
Stahrs erste Regung war etwas wie Furcht, sein erster Gedanke, dass der Brief außer Kraft gesetzt war, sie hatte ja sogar versucht, ihn wieder an sich zu bringen. Dann erinnerte er sich an das »Mister Stahr« – fast ihre letzten Worte – und dass sie ihn um seine Anschrift gebeten hatte, wahrscheinlich hatte sie ihm schon einen zweiten Brief geschrieben, mit einem zweiten Lebewohl. Wider alle Vernunft empörte es ihn, dass der Brief das, was danach geschehen war, so völlig ignorierte. Er las ihn noch einmal – nein, sie hatte nichts vorausgeahnt. Trotzdem hatte sie vor dem Haus beschlossen, das Geschriebene so stehenzulassen, hatte damit alles, was ihnen widerfahren war, abgewertet, hatte verdrängt, dass an jenem Nachmittag kein anderer Mann in ihren Gedanken gewesen war. Doch nicht einmal daran konnte er jetzt noch glauben, und das ganze Abenteuer zerflatterte schon in dem Moment, als er es sich prüfend noch einmal vergegenwärtigte. Das Auto, die Anhöhe, der Hut, die Musik, der Brief – alles flog davon wie die Teerpappenfetzen auf den Schutthaufen vor seinem Haus. Und auch Kathleen machte sich davon und nahm die Gesten mit, an die er sich so gut erinnerte, den sacht hin und her gehenden Kopf, den lustvoll kräftigen Körper, die bloßen Füße im nassen wirbelnden Sand. Der Himmel verblasste und verging – Wind und Regen trieben, trüb geworden, die silbernen Fische zurück ins Meer. Es war ein Tag wie jeder [162] andere, von dem nichts geblieben war als der Drehbuchstapel auf dem Tisch.
Er ging nach oben. Auf dem ersten Treppenabsatz starb Minna noch einmal, und wieder machte er sich schleppend und unter Qualen daran, sie zu vergessen, Stufe für Stufe, bis er oben angekommen war. Das Stockwerk war leer und öde – da waren nur Türen, hinter denen niemand schlief. In seinem Zimmer nahm Stahr den Schlips ab, band die Schuhe auf und setzte sich auf die Bettkante. Alles war nun abgetan – bis auf eins, was ihm nicht einfallen wollte. Und dann erinnerte er sich: Ihr Wagen stand noch unten auf dem Hotelparkplatz. Er stellte den Wecker so, dass ihm sechs Stunden Schlaf blieben.
[163] 12
Hier meldet sich wieder Cecelia zu Wort. Es ist viel leicht am interessantesten, wenn
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