Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Eheweib fromm und züchtig zur Seite zu stehen. Oh, Herr, welch ein erhebender Gedanke! Welch ein Kreuzzug!« Pater Alfredo seufzte. Er war jetzt sicher, das Thema für seine morgige Predigt gefunden zu haben.
    Doch was war das? Die hochherrschaftliche Dame beachtete ihn gar nicht. Sie ging einfach an ihm vorbei und betrat die Kathedrale. Nun gut, das war ihr nicht zu verwehren. Niemandem war es zu verwehren, ein Gotteshaus zu betreten, wenn er seinem Schöpfer nahe sein wollte. Pater Alfredo beendete sein Gebet, indem er Gott versicherte, dass die Zukunft und das Schicksal der dünkelhaften Elizabeth selbstverständlich in Seiner Hand lägen, und dass er, Alfredo, nur ein paar eigene Gedanken habe äußern wollen. Er sagte hastig »Amen« und betrat erneut die Kathedrale.
    Drinnen umfing ihn Kühle, während seine Augen sich an das dunklere Licht gewöhnten. Er ging durch das Hauptschiff, vorbei an dem durch Jahrhunderte geschwärzten Kirchengestühl, machte im Angesicht der großen Christusfigur das Kreuzzeichen – und ertappte sich dabei, dass er insgeheim Ausschau nach der Fremden in der rubinroten Robe hielt. Sie war nicht da. Niemand war da, was ungewöhnlich schien zu dieser Stunde. Pater Alfredo schüttelte den Kopf. Er wollte einen Winkel der Sakristei ansteuern, in dem er sich zu sammeln pflegte und seinen Predigten den letzten Schliff gab, als ihn ein plötzlicher Ruf herumfahren ließ: »Pater!«
    Er brauchte zwei oder drei Herzschläge, um zu begreifen, dass der Ruf aus dem Beichtstuhl gekommen war. Der Beichtstuhl stand an der linken Seite des Hauptschiffs zwischen der
Genueser Kapelle
und der
Kapelle Jesus von Nazareth.
Er war ein Meisterwerk der Möbeltischlerei, geschlossen und zweigeteilt, und sein schrankartiger Aufbau wurde überdeckt von üppigen, Rosen darstellenden Schnitzereien.
    »Vater, ich möchte beichten, und zwar möglichst rasch!«
    Die Stimme gehörte einer Frau; sie hörte sich energisch und ein wenig metallisch an – und befehlsgewohnt. Pater Alfredo zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie der adeligen Dame gehörte, und ebenso zweifelsfrei war, dass der Ton der Dame sich nicht geziemte. In einem Gotteshaus hatte nur einer zu befehlen, und das war der Allmächtige selbst. Andererseits hatte jeder Gläubige das Recht und die Pflicht, zu beichten, mehrmals im Jahr, je nachdem, wie viel Schuld er auf sich geladen hatte. Wer krank oder auf Reisen war oder andere triftige Gründe anführen konnte, dem Bußsakrament fernzubleiben, sollte versuchen, wenigstens ein Mal pro Jahr die
confessio
abzulegen, und das möglichst am Osterfest. Der Auferstehungstag Christi lag in diesem Jahr zwar schon vier Wochen zurück, aber das musste nichts bedeuten. Vielleicht hatte Gott die Schritte der Fremden ganz bewusst nicht früher in Sein Haus gelenkt? Sein Ratschluss war unergründlich.
    Pater Alfredo streckte sich und schritt auf den Beichtstuhl zu. »Wohlan, ich werde Euch die Beichte abnehmen«, sagte er, während er seinen Platz neben der Trennwand einnahm. Dann legte er sein Ohr an die Gitteröffnung und lauschte.
    Eine Zeitlang geschah nichts. Es war so still, wie es nur in einer Kirche sein konnte. Plötzlich meldete sich die Stimme wieder: »Ich möchte, dass Gott mir meine Sünden vergibt.«
    »Nun, nun, so einfach geht das nicht.«
    »Weshalb nicht?«
    Pater Alfredo räusperte sich. »Es ist wohl einige Zeit her, dass Ihr Eure Sünden vor Gott dem Herrn bekannt habt?«
    »Warum sollte das so sein?«
    »Weil Ihr, wie es scheint, die Anfangsformel der
confessio
vergessen habt. Schlagt das Kreuz, dann will ich sie für Euch sprechen.«
    »Gut, ich habe es geschlagen.«
    »
In nomine patri et filii et spriritus sancti. Amen.
Merkt Euch den Satz, er wäre Euer Part gewesen.«
    »Wie Ihr meint, Vater.«
    »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und Seiner Barmherzigkeit«, sprach Pater Alfredo den Anschlusstext, während er die Augen schloss, um sich besser konzentrieren zu können.
    »Ich höre«, sagte er.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Sir Hippolyte Taggart war eine Erscheinung, der man den Seemann schon von weitem ansah. Er hatte ein kantiges Äußeres, wasserhelle Augen und eine Haut, die von allen Meeren dieser Welt gegerbt worden war. Doch nicht nur Wind und Wetter hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, sondern auch die scharfe Schneide eines spanischen Schwerts. Anno 73 in der Karibik war es gewesen, als ihm bei der Eroberung einer

Weitere Kostenlose Bücher