Die Liebe einer Frau
Hochzeit? Seht mal die hübschen Brautjungfern.«
Bud brüllte das Schlimmste zurück, das ihm einfiel.
»Du hast den Hintern voll Blut.«
Das stimmte natürlich nicht, aber einmal war es wirklich so gewesen – sie war aus der Schule mit Blut auf dem Rock nach Hause gekommen. Alle hatten es gesehen, und es geriet nie in Vergessenheit.
Er war überzeugt, dass sie ihn zu Hause verpetzen würde, aber sie tat es nicht. Sie schämte sich wegen dieses Vorkommnisses so sehr, dass sie nicht davon sprechen konnte, nicht einmal, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen.
Den Jungen wurde klar, dass sie die Blumen sofort loswerden mussten, also warfen sie die Zweige einfach unter ein parkendes Auto. Sie streiften sich ein paar verirrte Blütenblätter von den Kleidern, als sie auf den Marktplatz kamen.
Samstage waren damals noch von Bedeutung; sie brachten die Landbevölkerung in die Stadt. Autos parkten schon um den Marktplatz herum und in den Seitenstraßen. Große Jungen und Mädchen vom Lande und kleinere Kinder aus der Stadt und der Umgebung strebten zur Nachmittagsvorstellung ins Kino.
Es ging nicht anders, sie mussten an Honeker’s Warenhaus im ersten Häuserblock vorbei. Und da, weithin sichtbar in einem der Schaufenster, erblickte Jimmy seine Mutter. Schon wieder bei der Arbeit, rückte sie den Hut auf einer weiblichen Schaufensterpuppe gerade, richtete den Schleier und nestelte dann an den Schultern des Kleides. Sie war eine kleine Frau und musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um das ordentlich zu machen. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, um auf den Schaufensterteppich zu treten. Man konnte durch ihre Strümpfe die rosigen, rundlichen Polster ihrer Hacken sehen, und wenn sie sich streckte, sah man durch den Schlitz in ihrem Rock ihre Kniekehlen. Darüber kam ein breiter, aber wohlgestalteter Hintern und der Umriss ihres Schlüpfers oder Hüfthalters. Jimmy konnte im Geiste die leisen Ächzer hören, die sie bestimmt ausstieß; außerdem konnte er die Strümpfe riechen, die sie manchmal auszog, sobald sie nach Hause kam, um sie vor Laufmaschen zu bewahren. Strümpfe und Unterwäsche, sogar saubere weibliche Unterwäsche, hatten einen schwachen, intimen Geruch, der zugleich anziehend und widerlich war.
Er hoffte auf zwei Dinge. Dass die anderen sie nicht bemerkten (sie hatten sie bemerkt, aber die Vorstellung von einer Mutter, jeden Tag fein angezogen und draußen im öffentlichen Leben der Stadt, war ihnen so fremd, dass sie sich nicht dazu äußern konnten) und dass seine Mutter sich ja nicht, bitte nicht umdrehte und ihn entdeckte. Wenn sie das tat, dann war sie nämlich imstande, ans Glas zu klopfen und stumm »Hallo« zu rufen. Bei der Arbeit verlor sie ganz die häusliche Verschwiegenheit, die ruhige Sanftmut. Ihre sonst so milde Freundlichkeit bekam etwas Keckes, Kokettes. Früher hatte ihn das fasziniert, ihre andere Seite, ihr Frohsinn, ebenso wie Honeker’s Warenhaus mit den großflächigen Ladentischen aus Glas und lackiertem Holz, den breiten Spiegeln am oberen Ende der Treppe, in denen er sich zu den Damenmoden im ersten Stock hochsteigen sah.
»Da ist ja mein kleiner Racker«, rief dann seine Mutter immer und steckte ihm manchmal ein Zehncentstück zu. Er durfte nie länger als eine Minute bleiben, denn es konnte sein, dass Mr. oder Mrs. Honeker aufpassten.
Mein kleiner Racker.
Worte, die einst so angenehm geklungen hatten wie das Klimpern von Fünf- und Zehncentstücken, waren jetzt insgeheim beschämend.
Das Warenhaus lag glücklich hinter ihnen.
Im nächsten Häuserblock mussten sie am Duke of Cumberland vorbei, aber Cece war unbesorgt. Wenn sein Vater zur Mittagszeit nicht nach Hause gekommen war, hieß das, er würde noch stundenlang da drin sein. Doch das Wort »Cumberland« fiel immer wie ein schwarzer Schatten auf sein Gemüt. Seit einer Zeit, als er noch gar nicht wusste, was es bedeutete, gab es ihm das Gefühl, sorgenschwer zu stürzen. Der Fall einer Last, die tief unten auf dunkles Wasser schlug.
Zwischen dem Cumberland und dem Rathaus lag eine ungepflasterte Gasse, und auf der Rückseite des Rathauses befand sich das Polizeirevier. Sie bogen in diese Gasse ein, und bald drang neuer Lärm an ihre Ohren und übertönte den Straßenlärm. Er kam nicht aus dem Cumberland – der Lärm darin drang kaum nach außen, denn das Bierlokal hatte nur kleine, hochgelegene Fenster wie eine öffentliche Toilette. Er kam aus dem Polizeirevier. Die Tür zum Revier stand wegen des milden
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