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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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noch, dass ich oft gekommen war und mich stundenlang in der Bücherei herumgedrückt hatte, sagten sie. Ich schämte mich, weil ich ihnen so aufgefallen war. Ich schämte mich, weil ich so oft gekommen war.
    Welch schlichtes Vergnügen war es, meine Position einzunehmen, hinter dem Tresen den Leuten gegenüberzustehen, allen, die mich ansprachen, sachkundig und munter und freundlich zu begegnen. Von ihnen als eine Person gesehen zu werden, die sich auskannte, die in der Welt eine klare Aufgabe hatte. Das Verkriechen und das ziellose Umherlaufen und das Träumen aufzugeben und die junge Frau in der Bücherei zu werden.
    Natürlich hatte ich jetzt weniger Zeit zum Lesen, und manchmal hielt ich für einen Augenblick ein Buch in der Hand, bei meiner Arbeit am Tresen – ich hielt das Buch in der Hand wie einen Gegenstand, nicht wie ein Gefäß, das ich sofort austrinken musste –, und mich durchzuckte Furcht, wie in einem Traum, wenn man in das falsche Gebäude geraten ist oder den Termin der Prüfung vergessen hat oder begreift, dies ist nur der Zipfel einer düsteren Umwälzung oder eines lebenslangen Fehlers.
    Aber dieser Schreck verging gleich wieder.
    Die Frauen, mit denen ich zusammenarbeitete, erinnerten sich, dass sie mich früher in der Bücherei hatten schreiben sehen.
    Ich sagte, ich hätte Briefe geschrieben.
    »Sie schreiben Ihre Briefe in eine Kladde?«
    »Aber ja«, sagte ich. »Das ist billiger.«
    Das letzte Schulheft wurde kalt, versteckt in der Schublade mit dem Durcheinander meiner Strümpfe und meiner Unterwäsche. Es wurde kalt, sein Anblick demütigte mich und erfüllte mich mit bösen Vorahnungen. Ich wollte es wegwerfen, tat es aber nicht.
    Mrs. Gorrie beglückwünschte mich nicht zu meiner neuen Stellung.
    »Sie haben mir gar nicht gesagt, dass Sie sich nach was anderem umsehen«, sagte sie.
    Ich sagte, mein Name stünde in der Bücherei schon seit langem auf der Liste, und das hätte ich ihr auch erzählt.
    »Das war, bevor Sie angefangen haben, für mich zu arbeiten«, sagte sie. »Und was wird jetzt mit Mr. Gorrie?«
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Das wird ihm wohl kaum helfen.«
    Sie zog die rosa Augenbrauen hoch und sprach mit mir in der hochtrabenden Art, die ich gehört hatte, wenn sie mit dem Fleischer oder dem Kaufmann telefonierte, der ihre Bestellung fehlerhaft ausgeführt hatte.
    »Und was soll ich jetzt machen?«, fragte sie. »Sie haben mich elend im Stich gelassen. Ich hoffe nur, Sie halten Ihre Versprechungen anderen gegenüber ein bisschen besser als Ihr Versprechen mir gegenüber.«
    Das war natürlich Unsinn. Ich hatte ihr nicht gesagt, wie lange ich bleiben würde. Dennoch plagten mich Schuldgefühle, wenn nicht sogar regelrechtes Schuldbewusstsein. Ich hatte ihr nichts versprochen, aber was war damit, dass ich ihr oft nicht aufgemacht hatte, dass ich versucht hatte, mich unbemerkt aus dem Haus zu stehlen, und mit gesenktem Kopf unter ihrem Küchenfenster vorbeigegangen war? Was war damit, dass ich ihre – doch sicherlich ehrlich gemeinten – Angebote nur mit einer dünnen, aber dafür zuckersüßen Vortäuschung von Freundschaft erwidert hatte?
    »Eigentlich ist es ganz gut so«, sagte sie. »Es wäre mir gar nicht recht, wenn jemand nach Mr. Gorrie sieht, auf den man sich nicht verlassen kann. Ich war sowieso nicht zufrieden damit, wie Sie ihn versorgt haben, das kann ich Ihnen sagen.«
    Bald hatte sie Ersatz gefunden – eine kleine, spinnenartige Frau mit Haarnetz. Ich hörte sie nie sprechen. Aber ich hörte Mrs. Gorrie mit ihr sprechen. Die Wohnungstür oben wurde eigens dafür aufgelassen.
    »Sie hat nie seine Teetasse abgewaschen. Oft hat sie ihm nicht mal seinen Tee gemacht. Ich weiß nicht, wozu sie gut war. Dasitzen und die Zeitung vorlesen.«
    Wenn ich jetzt aus dem Haus ging, wurde das Küchenfenster aufgerissen, und ihre Stimme gellte über meinen Kopf hinweg, obwohl sie vorgeblich mit Mr. Gorrie sprach.
    »Da geht sie hin. Hat’s nicht mal nötig, uns zuzuwinken. Wir haben ihr Arbeit gegeben, als keiner sie haben wollte, aber heute hat sie’s nicht mehr nötig.«
    Ich winkte nicht. Ich musste an dem Wohnzimmerfenster vorbei, hinter dem Mr. Gorrie saß, aber ich hatte die Vorstellung, wenn ich jetzt winkte oder ihn auch nur ansah, würde ihn das demütigen. Alles, was ich tat, konnte wie eine Verhöhnung wirken.
    Schon vor der nächsten Querstraße hatte ich beide vergessen. Der Morgen war strahlend hell, und ich schritt aus, belebt von dem

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