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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Leitartikel aus der Zeitung vorgelesen hatte).
    Was ich jetzt hörte, bedeutete: »Sehen wir mal, ob’s da drin was Interessanteres gibt als in der Zeitung.«
    Ich holte den Stapel Sammelalben unter dem Tisch hervor und ließ mich damit zu seinen Füßen auf dem Boden nieder. Auf den Einbänden standen in großen Bleistiftziffern Jahreszahlen der jüngsten Vergangenheit. Ich blätterte 1952 durch und sah den ausgeschnittenen Zeitungsbericht über die Beerdigung von König Georg VI . Darüber stand mit Bleistift: »Albert Frederick Georg. Geboren 1885 . Gestorben 1952 .« Ein Foto der drei Königinnen in ihren Trauerschleiern.
    Auf der nächsten Seite eine Reportage über den Alaska Highway.
    »Das ist eine interessante Dokumentation«, sagte ich. »Soll ich Ihnen helfen, ein neues Album anzulegen? Sie könnten bestimmen, was ausgeschnitten und eingeklebt werden soll, und ich würde es dann machen.«
    Sein Geräusch bedeutete »Zu mühsam« oder »Was soll’s?« oder sogar »Blödsinn«. Er tat König Georg VI . mit einer Handbewegung ab und wollte die Jahreszahlen auf den anderen Alben sehen. Es waren nicht die richtigen. Er wies aufs Bücherregal. Ich holte einen weiteren Stapel Sammelalben heran. Ich begriff, dass er das Album für ein bestimmtes Jahr suchte, und ich hielt jedes Album so, dass er den Deckel sehen konnte. Trotz seiner Ablehnung schlug ich das eine oder andere auf. Ich sah einen Artikel über die Pumas auf Vancouver Island und einen über den Tod eines Trapezartisten und einen über ein Kind, das von einer Lawine verschüttet worden war und überlebt hatte. Wir gingen die Kriegsjahre durch, die dreißiger Jahre, das Jahr, in dem ich geboren worden war und nahezu noch ein weiteres Jahrzehnt, ehe er zufrieden war. Und den Befehl gab. Das da anschauen. 1923 .
    Ich schlug die erste Seite des Albums auf.
    »Januar-Schneefall begräbt Dörfer in –«
    Das nicht. Weiter. Mach schon.
    Ich blätterte rasch weiter.
    Langsamer. Nicht so schnell. Langsamer.
    Ich blätterte die Seiten um, ohne anzuhalten und etwas zu lesen, bis wir zu der kamen, die er wollte.
    Das da. Lies das vor.
    Es gab weder ein Foto noch eine Überschrift. Mit Bleistift stand da: »
Vancouver Sun
, 17 . April 1923 «.
    »Cortes Island«, las ich laut. »Ist es das?«
    Lies das vor.Los.
    CORTES ISLAND . In der Nacht vom Samstag auf den Sonntag oder am frühen Sonntagmorgen wurde das Anwesen von Anson James Wild am Südende der Insel durch ein Feuer völlig zerstört. Das Haus lag weit entfernt von anderen Gehöften oder bewohnten Orten, dementsprechend wurden die Flammen von keinem der Inselbewohner bemerkt. Es liegen Berichte vor, denen zufolge am frühen Sonntagmorgen von einem Fischerboot, das zum Desolation Sound unterwegs war, ein Feuer bemerkt wurde, aber die Männer an Bord dachten, dass jemand Gestrüpp niederbrannte. Angesichts der vorherrschenden Nässe im Wald stellte ein Feuer im Unterholz in ihren Augen keine Gefahr dar, und so setzten sie ihren Weg fort.
    Mr. Wild war Besitzer der Wildfruit Orchards und wohnte seit etwa fünfzehn Jahren auf der Insel, nachdem er lange beim Militär gedient hatte. Er lebte sehr zurückgezogen, begegnete aber allen mit Freundlichkeit. Er war seit einiger Zeit verheiratet und hatte einen Sohn. Man nimmt an, dass er von der Ostküste stammte.
    Das Haus wurde durch die Feuersbrunst in Schutt und Asche gelegt, auch der Dachstuhl war eingestürzt. In den verkohlten Überresten fand man den Leichnam von Mr. Wild, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
    In der Ruine entdeckte man ferner einen rauchgeschwärzten Kanister, der vermutlich Benzin enthalten hatte.
    Die Ehefrau von Mr. Wild befand sich zu dem Zeitpunkt nicht auf der Insel, da sie am Mittwoch zuvor auf einem Schiff mitgefahren war, das eine Ladung Äpfel aus der Obstplantage ihres Mannes nach Comox transportierte. Sie hatte vorgehabt, am gleichen Tag zurückzukehren, blieb aber drei Tage und vier Nächte fort, da das Schiff Maschinenschaden hatte. Sie kehrte erst am Sonntagmorgen mit dem Freund zurück, der sie auf dem Schiff mitgenommen hatte, und zusammen entdeckten sie die Tragödie.
    Sorge bestand um den kleinen Sohn der Wilds, der nicht im Haus war, als es abbrannte. Die Suche wurde unverzüglich aufgenommen, und vor Einbruch der Dunkelheit fand man am Sonntagabend das Kind weniger als eine Meile weit von seinem Zuhause im Wald. Nach mehreren Stunden im Unterholz war es durchnässt und durchgefroren, aber sonst unverletzt. Offenbar

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