Die Liebe einer Frau
Feindseligkeit. Sie drehte sogar ein Stück weit durch.
»Ach, sie hält sich ja für so schlau. Dabei kann sie nicht mal zwei Zimmer sauberhalten. Wenn sie den Boden auffegt, kehrt sie den Dreck bloß in eine Ecke.«
Beim Kauf meines ersten Besens hatte ich vergessen, auch eine Kehrschaufel zu erstehen, und eine Zeit lang hatte ich es wirklich so gemacht. Aber das konnte sie nur wissen, wenn sie in meiner Abwesenheit mit einem eigenen Schlüssel in unsere Zimmer eingedrungen war. Was sie offenbar getan hatte.
»Sie ist eine Petze. Schon als ich sie zum ersten Mal sah, wusste ich gleich, sie ist eine Petze. Und eine Lügnerin. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf. Sie hat da unten gesessen und behauptet, sie schreibt Briefe, dabei schreibt sie immer wieder dasselbe hin – keine Briefe, immer wieder dasselbe. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf.«
Jetzt wusste ich, dass sie die Bögen in meinem Papierkorb auseinandergebreitet haben musste. Ich versuchte oft, dieselbe Geschichte mit denselben Worten zu beginnen. Wie sie sagte, immer wieder.
Es war draußen richtig warm geworden, und ich ging ohne Jacke zur Arbeit, in einem eng anliegenden Pullover, den ich im Rock trug, unter einem Gürtel, der ins engste Loch geschnallt war.
Sie riss die Haustür auf und schrie mir hinterher.
»Schlampe. Sieh dir bloß die Schlampe an, wie sie den Busen rausstreckt und mit dem Hintern wackelt. Sie halten sich wohl für Marilyn Monroe?«
Und: »Wir brauchen Sie nicht in unserem Haus. Je eher Sie verschwinden, desto besser.«
Sie rief Ray an und erzählte ihm, ich versuchte, ihre Bettwäsche zu stehlen. Sie beklagte sich, dass ich in der ganzen Straße Geschichten über sie herumerzählte. Sie hatte die Wohnungstür aufgemacht, um sicherzugehen, dass ich sie hören konnte, und sie brüllte ins Telefon, was kaum nötig war, denn wir teilten uns einen Anschluss und konnten jederzeit mithören. Ich tat es nie – mein Instinkt war, mir die Ohren zuzuhalten –, aber eines Abends, als Chess zu Hause war, nahm er den Hörer ab und sprach hinein.
»Beachten Sie sie gar nicht, Ray, sie ist nur eine verrückte alte Frau. Ich weiß, sie ist Ihre Mutter, aber ich muss Ihnen sagen, sie ist eine verrückte alte Frau.«
Ich fragte ihn, was Ray gesagt hatte, ob er sich darüber geärgert hatte.
»Er hat nur gesagt: ›Schon gut.‹«
Mrs. Gorrie hatte aufgehängt und zeterte direkt die Treppe herunter: »Ich werde Ihnen sagen, wer verrückt ist. Ich werde Ihnen sagen, wer eine verrückte Lügnerin ist und Lügen über mich und meinen Mann verbreitet –«
Chess sagte: »Wir hören Ihnen nicht zu. Lassen Sie meine Frau in Ruhe.« Später sagte er zu mir: »Was meint sie mit Lügen über sie und ihren Mann?«
Ich sagte: »Ich weiß es nicht.«
»Sie hat es einfach auf dich abgesehen«, sagte er. »Weil du jung bist und hübsch aussiehst und sie eine alte Hexe ist.«
»Vergiss es«, sagte er und machte einen halben Witz, um mich aufzuheitern.
»Wozu sind alte Frauen überhaupt auf der Welt?«
Wir fuhren im Taxi zu unserer neuen Wohnung, nur mit unseren Koffern. Wir warteten auf dem Bürgersteig auf das Taxi und standen mit dem Rücken zum Haus. Ich rechnete mit einer letzten Schimpfkanonade, aber es kam kein Laut.
»Was, wenn sie eine Pistole hat und mich in den Rücken schießt?«, sagte ich.
»Rede nicht wie sie«, sagte Chess.
»Ich würde Mr. Gorrie gern zuwinken, falls er da ist.«
»Besser nicht.«
Ich warf keinen letzten Blick auf das Haus, und ich ging auch diese Straße, das Stück der Arbutus Street, das dem Park und dem Meer zugewandt ist, nie wieder entlang. Ich habe keine klare Vorstellung mehr davon, wie das Haus aussah, obwohl ich mich an ein paar Dinge – den Alkovenvorhang, die Wohnzimmervitrine, Mr. Gorries grünen Ruhesessel – genau erinnere.
Wir lernten andere junge Paare kennen, die wie wir angefangen hatten, in billigem Wohnraum in den Häusern anderer Leute. Wir hörten von Ratten, Kakerlaken, üblen Toiletten und verrückten Hauswirtinnen. Und wir erzählten von unserer verrückten Hauswirtin. Ihrem Verfolgungswahn.
Sonst dachte ich nicht mehr an Mrs. Gorrie.
Aber Mr. Gorrie erschien in meinen Träumen. In meinen Träumen schien ich ihn zu kennen, bevor er sie kennengelernt hatte. Er war beweglich und kräftig, aber er war nicht jung und sah nicht besser aus als zu der Zeit, als ich ihm im Wohnzimmer vorgelesen hatte. Vielleicht konnte er sprechen, aber seine Äußerungen waren auf dem
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