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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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zugesetzt, in der Gewißheit, die Nacht munter mit ihr im Bett zu beenden, denn er war davon überzeugt, daß eine Frau, die einmal mit einem Mann ins Bett gegangen ist, es wieder tun wird, wann immer er will, vorausgesetzt, daß er sie jedes Mal zu beglücken weiß. Alles hatte er wegen dieser Überzeugung ertragen, hatte selbst bei den schmutzigsten Liebesgeschäften über alles hinweggesehen, nur um keiner von einer Frau geborenen Frau die Gelegenheit zu geben, die letzte Entscheidung zu treffen. In jener Nacht fühlte er sich jedoch so gedemütigt, daß er auf einen Zug den Brandy austrank, alles nur mögliche tat, um sich seinen Groll anmerken zu lassen, und dann grußlos ging. Sie sahen sich nie wieder.
    Florentino Arizas Verhältnis mit Sara Noriega war eines seiner längsten und beständigsten gewesen, wenn auch nicht das einzige, das er in jenen fünf Jahren hatte. Als ihm klargeworden war, daß er sich vor allem im Bett bei ihr wohl fühlte, jedoch niemals Fermina Daza durch sie würde ersetzen können, nahm die Zahl seiner Nächte als einsamer Jäger wieder zu, wobei er seine Kräfte und seine Zeit bis aufs letzte erschöpfte. Sara Noriega gelang jedoch das Wunder, ihm eine Zeitlang Linderung zu verschaffen. Zumindest konnte er leben, ohne Fermina Daza zu sehen, anders als früher, als er zu jedweder Tageszeit das, was er gerade tat, unterbrach, um sie auf dem Ungewissen Kurs seiner Ahnungen zu suchen, auf den unwahrscheinlichsten Straßen und an unwirklichen Orten, wo sie unmöglich sein konnte, und ziellos durch die Gegend streifte, mit einem Verlangen in der Brust, das ihm keine Ruhepause gönnte, bis er sie nicht wenigstens einen Augenblick gesehen hatte. Der Bruch mit Sara Noriega störte die schlafenden Sehnsüchte jedoch erneut auf, und er fühlte sich wieder so wie an jenen endlosen Lesenachmittagen auf der Bank unter den Mandelbäumen, nur war alles jetzt durch das Wissen um den unerläßlichen Tod von Doktor Juvenal Urbino noch schlimmer. Florentino Ariza wußte schon seit langem, daß er dazu ausersehen war, eine Witwe glücklich zu machen und von ihr glücklich gemacht zu werden, und das beunruhigte ihn nicht. Im Gegenteil: Er war darauf vorbereitet. So wie er sie auf seinen einsamen Streifzügen kennengelernt hatte, mußte er schließlich glauben, die Welt sei voll von glücklichen Witwen. Er hatte gesehen, wie sie angesichts der Leiche des Gatten vor Schmerz wahnsinnig wurden, wie sie flehentlich baten, man möge sie lebendig im selben Sarg begraben, damit sie sich nicht ohne ihren Mann den Wechselfällen der Zukunft stellen müßten, aber in dem Maße, wie sie sich mit der Realität ihrer neuen Lage abfanden, sah man sie mit frischergrünter Vitalität aus der Asche emporsteigen. Zunächst lebten sie noch wie Parasiten des Schattens in ihren leeren großen Häusern, sie wurden die Vertrauten ihrer Dienstmädchen, die Geliebten ihrer Kopfkissen und hatten nach so vielen Jahren steriler Gefangenschaft nichts zu tun. Sie verschwendeten die überzähligen Stunden, indem sie fehlende Knöpfe an die Kleider des Toten annähten, wozu sie aus Zeitmangel früher nie gekommen waren, sie bügelten wieder und wieder seine Hemden mit den Manschetten und den Paraffinkragen, damit sie immer untadelig aussähen. Sie legten weiter seine Seife ins Badezimmer, den Bettüberzug mit seinem Monogramm aufs Bett, den Teller und das Besteck auf seinen Platz am Tisch, für den Fall, daß er unangekündigt, wie es im Leben seine Art gewesen war, aus dem Tod zurückkehrte. Doch bei jenen Messen der Einsamkeit wurde ihnen langsam bewußt, daß sie wieder Herrinnen ihres freien Willens waren, nachdem sie nicht nur auf ihren Familiennamen, sondern auch auf die eigene Identität verzichtet hatten, und das alles im Tausch gegen eine Sicherheit, die auch nicht mehr gewesen war als eine ihrer vielen bräutlichen Illusionen. Nur sie wußten, wie schwer der Mann wog, den sie leidenschaftlich liebten und der sie vielleicht ebenfalls liebte, den sie aber bis zum letzten Atemzug weiter hatten aufziehen müssen. Sie hatten ihn gestillt, ihm die schmutzigen Windeln gewechselt und ihn mit mütterlichen Listen abgelenkt, um ihm die entsetzliche Angst davor zu nehmen, morgens hinausgehen und der Wirklichkeit ins Auge sehen zu müssen. Wenn sie ihn dann aber aus dem Haus gehen sahen, von ihnen selbst dazu angestiftet, die Welt zu verschlingen, dann waren sie es, die mit der Angst zurückblieben, der Mann könne niemals wiederkehren. Das

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