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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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war das Leben. Die Liebe, wenn es sie gab, war eine Sache für sich: ein anderes Leben. In der erholsamen Muße der Einsamkeit aber entdeckten die Witwen, daß die einzig würdige Lebensform war, auf den eigenen Körper zu hören, nur aus Hunger zu essen, ohne Lüge zu lieben, zu schlafen, ohne sich schlafend zu stellen, um so der unanständigen gesetzlichen Liebe zu entgehen. Endlich hatten sie das Recht auf ein Bett ganz für sich allein, in dem niemand ihnen die Hälfte des Lakens, die Hälfte ihrer Atemluft, die Hälfte ihrer Nacht streitig machte, und der Körper befriedigte sich schließlich an den eigenen Träumen und wachte allein auf. Bei Morgengrauen traf der flüchtige Jäger Florentino Ariza auf sie, wenn sie aus der Fünf-Uhr-Messe kamen, trauerschwarz behängt, den Schicksalsraben auf der Schulter. Sobald sie Florentino Ariza im Licht des anbrechenden Tages ausmachten, überquerten sie die Straße, wechselten mit kleinen, hastigen Schritten den Gehsteig, denn die bloße Tatsache, an einem Mann vorbeizugehen, hätte ihre Ehre beflecken können. Dennoch war er davon überzeugt, daß eine untröstliche Witwe mehr als jede andere Frau den Keim des Glücks in sich tragen konnte. Die vielen Witwen seines Lebens, angefangen bei der Witwe Nazaret, hatten ihm eine klare Vorstellung davon gegeben, wie glückliche Ehefrauen nach dem Tod ihrer Männer sind. Was zunächst für ihn nicht mehr als eine Illusion gewesen war, verwandelte sich ihm, dank dieser Frauen, zu einer Möglichkeit, die mit Händen zu greifen war. Er sah keinen Grund dafür, daß Fermina Daza nicht auch eine solche Witwe sein könnte, vom Leben vorbereitet, ihn so zu nehmen, wie er war, ohne Schuldgefühle wegen des toten Ehemannes, entschlossen, mit ihm dies andere Glück, zweimal glücklich zu sein, zu entdecken, mit einer Liebe für den täglichen Gebrauch, die aus jedem Augenblick ein Wunder des Lebens machen würde, und mit einer anderen Liebe, die ihr allein gehörte und durch die Immunität des Todes vor jeder Ansteckung gefeit war.
    Vielleicht hätte er sich nicht dermaßen an diesen illusorischen Erwägungen begeistert, wenn er geahnt hätte, wie fern Fermina Daza ihnen stand, die gerade erst den Horizont einer Welt zu erkennen begann, in der alles, außer dem Unglück, eingeplant war. Reich zu sein hatte zu jener Zeit viele Vorteile, natürlich auch viele Nachteile, doch die halbe Welt sehnte sich danach, schien es doch die wahrscheinlichste Möglichkeit, ewig zu dauern. Fermina Daza hatte Florentino Ariza in einer Anwandlung von Reife abgewiesen, die sie sogleich mit Mitleidsqualen zahlen mußte, doch daran, daß ihre Entscheidung richtig gewesen war, hatte sie nie gezweifelt. In jenem Augenblick hatte sie sich nicht erklären können, aus welchen verborgenen Gründen der Vernunft ihre Hellsicht erwachsen war, viele Jahre später jedoch, schon am Vorabend des Alters, erkannte sie plötzlich und unwillkürlich diese Gründe bei einem zufälligen Gespräch über Florentino Ariza. Allen Anwesenden war seine Stellung als Kronprinz der Karibischen Flußschiffahrtskompanie, die gerade ihre Blütezeit erlebte, bekannt, alle waren sich sicher, daß sie ihn oft gesehen und sogar oft mit ihm zu tun gehabt hatten, doch keiner konnte ihn sich in der Erinnerung vergegenwärtigen. Da ging Fermina Daza auf, was sie unbewußt daran gehindert hatte, ihn zu lieben. Sie sagte: »Es ist, als sei er keine Person, sondern ein Schatten.« So war es: Der Schatten von jemand, den niemand je kennengelernt hatte. Während sie jedoch der Belagerung durch Doktor Urbino, der als Mann das genaue Gegenteil war, standhielt, quälte sie das Gespenst der Schuld, das einzige Gefühl, das sie einfach nicht ertragen konnte. Wenn sie spürte, daß es sie überkam, bemächtigte sich ihrer eine Art Panik, die sie nur beherrschen konnte, wenn sie jemanden fand, der ihr Gewissen erleichterte. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich, wenn ein Teller in der Küche kaputtging, wenn jemand hinfiel oder wenn sie sich selbst einen Finger in der Tür klemmte, erschreckt dem nächsten Erwachsenen zugewandt und ihn schnell angeklagt: »Das ist deine Schuld.« Dabei kam es ihr in Wirklichkeit gar nicht darauf an, wer der Schuldige war, noch wollte sie sich der eigenen Unschuld vergewissern, ihr genügte es, sie festgestellt zu haben.
    Es war ein so unübersehbares Gespenst, daß Doktor Urbino beizeiten erkannte, wie sehr es die Harmonie seines Heims bedrohte, so daß er, sobald er es

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