Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
Hochzeitsreise zurückgekehrt war. Kaum hatten sie alle Koffer geöffnet, die Möbel ausgepackt und die elf Kisten geleert, die sie mitgebracht hatte, um von dem alten Palais des Marques de Casalduero als Hausherrin Besitz zu nehmen, als sie in einem tödlichen Schwindel bemerkte, daß sie im falschen Haus gefangen saß und, schlimmer noch, mit dem richtigen Mann. Um dort herauszukommen, brauchte sie sechs Jahre, die schlimmsten ihres Lebens, in denen sie an der Bitterkeit von Doña Bianca, ihrer Schwiegermutter, und der geistigen Beschränktheit der Schwägerinnen verzweifelte, die nur deshalb nicht in eine Klosterzelle gegangen waren, um bei lebendigem Leibe zu verfaulen, weil sie diese schon in sich trugen.
    Doktor Urbino, der sich damit abgefunden hatte, der Sippe seinen Tribut zu zahlen, stellte sich Fermina Dazas Bitten gegenüber taub. Er vertraute auf die Weisheit Gottes und die unendliche Anpassungsfähigkeit seiner Frau, daß die Dinge ins Lot kämen. Ihn schmerzte der Verfall seiner Mutter, deren Lebensfreude in einer anderen Zeit selbst den Niedergeschlagensten Lebenswillen eingeflößt hatte. Tatsächlich hatte diese schöne, intelligente Frau, die eine in ihren Kreisen keineswegs verbreitete menschliche Sensibilität auszeichnete, fast vierzig Jahre lang mit Herz und Hand ihr gesellschaftliches Paradies zusammengehalten. Die Witwenschaft hatte sie aber so sehr verbittert, daß sie ein anderer Mensch zu sein schien, sie sah aufgedunsen aus und war sauertöpfisch und menschenfeindlich geworden. Die einzige mögliche Erklärung für ihren Verfall war ihr Groll darüber, daß der Ehemann sich willentlich für eine Bande Neger aufgeopfert hatte, wie sie es ausdrückte, wo doch das einzige gerechtfertigte Opfer gewesen wäre, für sie zu überleben. Jedenfalls hatte das Eheglück der Fermina Daza solange gedauert wie ihre Hochzeitsreise, und der einzige, der ihr helfen konnte, den endgültigen Schiffbruch abzuwenden, verharrte vor Angst gelähmt im Banne der mütterlichen Gewalt. Ihm und nicht den schwachsinnigen Schwägerinnen und der halbverrückten Schwiegermutter gab Fermina Daza die Schuld an der Todesfalle, in der sie gefangen saß. Zu spät kam ihr der Verdacht, daß sich hinter der beruflichen Autorität und der weltmännischen Ausstrahlung des Mannes, den sie geheiratet hatte, ein unrettbarer Schwächling verbarg: ein armer Teufel, den nur das gesellschaftliche Gewicht seines Namens mutig machte.
    Sie nahm Zuflucht zu dem neugeborenen Sohn. Als sie ihn aus ihrem Leib gleiten spürte, war sie erleichtert gewesen, sich von etwas zu befreien, das nicht zu ihr gehört hatte. Sie war über sich selbst entsetzt gewesen, als sie feststellen mußte, daß sie nicht die geringste Zuneigung zu dieser Leibesfrucht verspürte, ein nacktes Stück Fleisch, mit Talg und Blut verschmiert und einer um den Hals geschlungenen Nabelschnur, das ihr die Hebamme zeigte. Doch in der Einsamkeit des Palais lernte sie ihn kennen, sie erkannten einander, und sie entdeckte mit inniger Freude, daß man Kinder nicht liebt, weil man sie geboren hat, sondern weil man mit ihnen Freundschaft schließt, wenn man sie aufzieht. Schließlich ertrug sie im Haus ihres Unglücks nichts und niemanden außer dem Sohn. Die Einsamkeit, der friedhofsähnliche Garten, die träge Zeit in den riesigen fensterlosen Gemächern, das alles machte sie schwermütig. Sie fühlte, wie sich ihr die Nächte von den Schreien der Verrückten im nahen Irrenhaus dehnten; allmählich verlor sie den Verstand. Sie fand es beschämend, täglich den Tisch für Bankette mit gestickten Tischtüchern, Silberbesteck und Begräbniskandelabern zu decken, damit fünf Gespenster abends eine Tasse Milchkaffee und Quarkgebäck zu sich nahmen. Sie verabscheute das Rosenkranzbeten bei Einbruch der Dämmerung, das gezierte Benehmen bei Tisch, die ständige Kritik an ihrer Art, das Besteck zu halten, an ihren geheimnisvollen großen Schritten einer Frau von der Straße, an ihrer Zirkuskleidung und sogar an ihrer bäuerlichen Art, wie sie den Ehemann behandelte und das Kind stillte, ohne die Brust mit einer Mantilla zu bedecken. Als sie nach neuester englischer Sitte ihre ersten Einladungen zum Fünf-Uhr-Tee mit Buttergebäck und Blumenkonfitüre gab, verbat sich Doña Bianca, daß in ihrem Hause statt der üblichen Schokolade mit geschmolzenem Käse und Jukkabrotscheiben Medikamente getrunken würden, mit denen man das Fieber ausschwitzte. Nicht einmal die Träume waren vor ihr

Weitere Kostenlose Bücher