Die Liebe in den Zeiten der Cholera
sicher. Eines Morgens, als Fermina Daza erzählte, sie habe von einem Unbekannten geträumt, der nackt durch die Salons im Palais spaziert sei und händevoll Asche ausgestreut habe, schnitt ihr Doña Bianca schroff das Wort ab.
»Eine anständige Frau kann so etwas nicht träumen.« Zu dem Gefühl, sich stets in einem fremden Haus zu bewegen, kamen zwei größere Übel. Das eine war, daß es fast täglich Auberginen in jeder nur denkbaren Form gab, eine Kost, von der Doña Bianca aus Achtung vor dem toten Gatten nicht abließ und die Fermina Daza sich zu essen weigerte. Sie verabscheute Auberginen seit ihrer Kindheit, noch bevor sie diese probiert hatte, da sie immer der Meinung gewesen war, sie hätten die Farbe von Gift. Nur mußte sie in diesem Fall zugeben, daß etwas in ihrem Leben sich zum Besseren gewendet hatte, denn fünfjährig hatte sie genau das bei Tisch geäußert, worauf ihr Vater sie gezwungen hatte, das ganze für sechs Personen gedachte Gericht aufzuessen. Sie hatte geglaubt, sterben zu müssen, zuerst wegen der Würgeanfälle bei den passierten Auberginen und dann wegen des Bechers Rizinusöl, der ihr gewaltsam eingeflößt wurde, damit sie von dem Strafgericht genas. Beides hatte sich in ihrer Erinnerung wegen des Geschmacks und wegen der Angst vor dem Gift zu einem einzigen Abfuhrmittel vermischt, und so mußte sie bei den abscheulichen Mittagessen im Palais des Marques de Casalduero den Blick abwenden, damit ihr das kulinarische Angebot nicht wegen der eisigen Übelkeit des Rizinusöls wieder hoch kam.
Das andere Unglück war die Harfe. Eines Tages hatte Doña Bianca höchst absichtsvoll bemerkt: »Ich glaube nicht an anständige Frauen, die nicht Klavier spielen können.« Das war ein Befehl, gegen den sogar ihr Sohn aufzubegehren suchte, da er selbst die besten Jahre seiner Kindheit mit der Galeerenstrafe der Klavierstunden verbracht hatte, auch wenn er dann als Erwachsener dafür hätte dankbar sein können. Es erschien ihm unzumutbar, daß seine Frau im Alter von fünfundzwanzig Jahren und mit dem ihr eigenen Charakter zur gleichen Strafe verdammt sein sollte. Alles, was er seiner Mutter abringen konnte, war jedoch, daß diese das Klavier durch eine Harfe ersetzte, und zwar mit dem kindischen Argument, diese sei das Instrument der Engel. So kam es, daß aus Wien die großartige Harfe geschickt wurde, die wie aus Gold aussah und auch so klang und später eine der wertvollsten Reliquien des Stadtmuseums darstellte, bis dieses mit dem gesamten Inventar in Flammen aufging. Fermina Daza unterwarf sich dieser Luxusstrafe und versuchte mit letzter Aufopferung den Schiffbruch abzuwenden. Sie fing mit einem Maestro für Meisterschüler an, der zu diesem Zweck aus der Stadt Mompox geholt wurde, aber nach vierzehn Tagen überraschend starb, und nahm dann noch mehrere Jahre lang Unterricht beim Musikmeister des Seminars, dessen Totengräberatem die Arpeggien verzerrte. Sie staunte selbst über ihre Gehorsamkeit. Denn obgleich sie es weder vor dem Richterstuhl ihres Gewissens noch bei den dumpfen Streitereien zugab, die sie mit ihrem Mann in den früher der Liebe gewidmeten Stunden ausfocht, hatte sie sich schneller, als sie es selbst geglaubt hatte, in das Geflecht der Konventionen und Vorurteile ihrer neuen Welt verstrickt. Am Anfang hatte sie einen rituellen Spruch, mit dem sie ihr Recht auf eine eigene Meinung bekräftigte: »Zum Teufel mit dem Fächer, es sind windige Zeiten.« Später jedoch wachte sie eifersüchtig über ihre schwerverdienten Privilegien und begann, Schande und Spott zu fürchten, so daß sie sogar bereit war, Demütigungen zu ertragen, in der Hoffnung, daß Gott sich endlich Doña Biancas erbarmen möge, die diesen ihrerseits unermüdlich darum anflehte, sie doch sterben zu lassen.
Doktor Urbino rechtfertigte seine eigene Schwäche mit Argumenten aus Krisenzeiten, ohne sich auch nur zu fragen, ob diese nicht gegen seine Kirche gerichtet waren. Er gab nicht zu, daß die Konflikte mit seiner Frau ihren Ursprung in der beklemmenden Luft des Hauses hatten, sondern machte dafür die Ehe an sich verantwortlich: eine absurde Erfindung, die nur dank Gottes unendlicher Gnade bestehen konnte. Es widersprach jeder wissenschaftlichen Vernunft, daß zwei, die sich kaum kannten, Personen, die nicht irgendwie miteinander verwandt waren, einen unterschiedlichen Charakter, unterschiedliche Bildung und dazu noch ein anderes Geschlecht hatten, plötzlich dazu verpflichtet waren, zusammenzuleben,
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