Die Liebe in den Zeiten der Cholera
haben. Er ging, gealtert und siech, lebte jedoch noch sehr viel länger, als irgendeines seiner Opfer es ihm gewünscht hätte. Fermina Daza konnte einen Seufzer der Erleichterung nicht unterdrücken, als sie die Nachricht von seinem Tod empfing, und sie trug keine Trauer für ihn, um Fragen aus dem Weg zu gehen, weinte jedoch in stummer Wut mehrere Monate lang, wenn sie sich zum Rauchen ins Badezimmer einschloß, und wußte nicht weshalb, denn sie weinte um ihn.
Besonders absurd an der Situation der beiden Eheleute war, daß sie in der Öffentlichkeit niemals so glücklich wirkten wie in jenen Jahren des Verhängnisses. Tatsächlich waren es nämlich die Jahre ihrer größten Siege über die unterschwellige Feindseligkeit einer Umgebung, die sich nicht dazu bequemen wollte, sie so zu akzeptieren, wie sie waren: anders und neuartig und daher gefährlich für die traditionelle Ordnung. Dies war jedoch für Fermina Daza der einfachere Teil gewesen. Das Leben in der großen Welt, das sie so unsicher gemacht hatte, bevor sie es kannte, war nicht mehr als ein System atavistischer Pakte, banaler Zeremonien und vorhersehbarer Worte, mit denen man sich in der Gesellschaft gegenseitig unterhielt, um sich nicht umzubringen. Das vorherrschende Merkmal jenes Paradieses der provinziellen Oberflächlichkeit war die Angst vor dem Unbekannten. Sie hatte es einfacher definiert: »Das Problem des gesellschaftlichen Lebens ist, mit der Angst fertig zu werden, und das Problem des ehelichen Lebens ist, mit dem Überdruß fertig zu werden.« Sie hatte es plötzlich entdeckt, mit der Deutlichkeit einer Offenbarung, als sie, die endlose Brautschleppe hinter sich herschleifend, in den weitläufigen Saal des Club Social trat, wo es eng wurde vom Dunst so vieler Blumen und dem Schmelz der Walzer im Tumult schwitzender Männer und bebender Frauen, die sie alle ansahen und noch nicht wußten, wie sie jene blendende Gefahr bannen sollten, die ihnen die Außenwelt schickte. Sie war eben einundzwanzig geworden und hatte ihr Haus nur für den Schulunterricht verlassen, doch es genügte ihr, in die Runde zu schauen, um zu begreifen, daß ihre Gegner nicht von Haß beherrscht, sondern von Angst gelähmt waren. Statt sie aus ihrer eigenen Angst heraus noch mehr in Schrecken zu versetzen, erbarmte Fermina Daza sich ihrer und half ihnen dabei, sie kennenzulernen. Niemand war anders, als sie ihn sich wünschte, und so ging es ihr auch mit den Städten, die ihr nicht besser oder schlechter erschienen, sondern so, wie ihr Herz sie erschaffen hatte. Paris sollte sie - trotz des ständigen Regens, der durchtriebenen Händler und der homerischen Unflätigkeiten der Kutscher - stets als die schönste Stadt der Welt erinnern, nicht weil Paris das wirklich war oder nicht war, sondern weil es für sie mit der Sehnsucht nach ihren glücklichsten Jahren verbunden blieb. Doktor Urbino setzte seinerseits die gleichen Waffen ein, die gegen ihn benutzt wurden, nur verwendete er sie intelligenter und mit wohlberechneter Feierlichkeit. Nichts geschah ohne die beiden: die Bürgerparaden, die Blumenspiele, die künstlerischen Ereignisse, die Wohltätigkeitstombolas, die patriotischen Kundgebungen, die erste Ballonfahrt. Sie waren überall und fast immer von Anbeginn dabei und allen voran. Niemand konnte sich in ihren unglücklichen Jahren vorstellen, daß es glücklichere Menschen geben könne oder eine harmonischere Ehe als die ihre. Das vom Vater verlassene Haus wurde Fermina Daza zu einer Zufluchtsstätte vor der erstickenden Atmosphäre im Familienpalais. Sobald sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen konnte, stahl sie sich zum Parque de los Evangelios und empfing dort die neuen Freundinnen und auch einige alte aus der Schule und den Malstunden: ein unschuldiger Ersatz für die Untreue. Sie verbrachte friedliche Stunden wie eine ledige Mutter mit all dem, was ihr noch von ihren Kindheitserinnerungen geblieben war. Sie kaufte sich wieder duftende Raben, sammelte Katzen von der Straße auf übergab sie der Fürsorge von Gala Placidia, die schon alt und etwas vom Rheuma behindert war, aber noch Schwung genug hatte, das Haus neu zu beleben. Fermina Daza öffnete wieder das Nähzimmer, wo Florentino Ariza sie zum ersten Mal gesehen hatte, wo Doktor Juvenal Urbino sie, um ihr Herz zu erkunden, die Zunge hatte herausstrecken lassen, und verwandelte es in ein Heiligtum der Vergangenheit. Eines Nachmittags schloß sie den Balkon, ehe ein winterlicher Wolkenbruch
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