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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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begann: der Kranz aus Papierblumen, Moschus auf die Lider, Karmin auf die Lippen, krustenweise weiße Schminke aufs Gesicht. Und wieder die Frage an den, der in der Nähe war. »Wie seh' ich aus?« Als sie in der Nachbarschaft zur Königin des Spotts geworden war, ließ Florentino Ariza eines Nachts den Ladentisch und die Schubladenschränke des alten Kurzwarenladens abbauen, die Tür zur Straße schließen, und er richtete den Raum so ein, wie sie ihm das Schlafzimmer von Cucarachita Martinez beschrieben hatte. Sie fragte nie wieder, wer sie sei. Auf Anregung von Onkel Leon XII. hatte er eine ältere Frau gesucht, die sich um sie kümmern sollte, doch die Arme war häufiger schläfrig als wach, und zuweilen schien es, als vergesse auch sie, wer sie war. Also blieb Florentino Ariza, wenn er aus dem Büro kam, solange im Haus, bis es ihm gelang, die Mutter zum Schlafen zu bringen. Er spielte nicht mehr Domino im Club del Comercio und traf auch lange Zeit nicht mehr die wenigen alten Freundinnen, mit denen er weiter Umgang gepflegt hatte, denn in seinem Herzen war nach der alptraumartigen Begegnung mit Olimpia Zuleta etwas Einschneidendes vor sich gegangen. Es hatte Florentino Ariza wie ein Blitz getroffen. Er hatte gerade den Onkel Leon XII. heimgebracht, mitten in einem jener Oktoberunwetter, die uns krankenhausreif machen, als er von der Kutsche aus ein schmales, sehr behendes Mädchen entdeckte, in einem Kleid voller Organdyvolants, das schon fast wie ein Brautkleid aussah. Er sah, wie sie bestürzt hin und her lief, hinter dem Regenschirm her, den der Wind ihr entrissen hatte und nun zum Meer hin trieb. Er nahm sie in seiner Kutsche mit und machte einen Umweg, um sie nach Hause zu bringen, zu einer ehemaligen Eremitenklause, die hergerichtet war, um am offenen Meer zu leben. Der Hof voller Taubenschläge war schon von der Straße aus zu sehen. Sie erzählte ihm während der Fahrt, daß sie vor knapp einem Jahr einen Töpferwarenhändler vom Markt geheiratet habe. Florentino Ariza hatte den Mann oft auf den Schiffen seiner Reederei beim Ausladen von Kisten mit allerlei verkäuflichem Krimskrams und einem Käfig aus Korb gesehen, wie ihn die Mütter auf den Flußschiffen benutzen, um die Säuglinge zu transportieren, den der Händler aber voll Tauben hatte. Olimpia Zuleta schien zur Familie der Wespen zu gehören, nicht nur wegen der hohen Hinterbacken und der winzigen Brüste, sondern wegen ihrer ganzen Erscheinung: das Haar aus Kupferdraht, die Sommersprossen, die runden, lebhaften Augen, die ungewöhnlich weit auseinanderstanden, und das feine Stimmchen, das sie nur benutzte, um kluge und amüsante Dinge zu sagen. Florentino Ariza erschien sie eher witzig als attraktiv, und er vergaß sie, sobald er sie vor ihrem Haus abgesetzt hatte, in dem sie mit ihrem Mann, dessen Vater und anderen Verwandten lebte.
    Einige Tage später sah er den Mann wieder im Hafen, diesmal lud er Ware ein statt aus, und als das Schiff ablegte, hörte Florentino Ariza deutlich die Stimme des Teufels im Ohr. An diesem Nachmittag fuhr er, nachdem er Onkel Leon XII. heimbegleitet hatte, wie zufällig an Olimpia Zuletas Haus vorbei und sah ihr über den Zaun zu, während sie die aufgeregt flatternden Tauben fütterte. Er rief ihr aus der Kutsche zu: »Was kostet eine Taube?« Sie erkannte ihn und antwortete fröhlich: »Sie sind unverkäuflich.« Er fragte sie: »Was macht man dann, um eine zu bekommen?« Sie hörte nicht auf, den Tauben Futter zu streuen, und antwortete: »Man nimmt die Täubnerin in der Kutsche mit, wenn man sie verloren in einem Wolkenbruch trifft.« So kam Florentino Ariza an jenem Abend mit einem Dankesgeschenk von Olimpia Zuleta nach Hause: eine Brieftaube mit einem Metallring am Bein.
    Am nächsten Nachmittag, wieder zur Fütterungszeit, sah die schöne Täubnerin, daß die weggeschenkte Taube in den Taubenschlag zurückgekehrt war, und dachte, sie sei entflogen. Doch als sie sich den Vogel griff, um ihn zu untersuchen, entdeckte sie, daß ein zusammengerolltes Zettelchen im Beinring steckte: eine Liebeserklärung. Es war das erste Mal, daß Florentino Ariza eine schriftliche Spur hinterließ, und es sollte nicht das letzte Mal sein, doch diesmal war er noch so vorsichtig gewesen, nicht zu unterzeichnen. Als er am Nachmittag darauf, es war Mittwoch, gerade sein Haus betreten wollte, überreichte ihm ein Junge die Taube in einem Käfig mit der auswendig aufgesagten Botschaft, das hier schickt Ihnen die Frau von den

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