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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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niederging, und sah dabei Florentino Ariza im gekürzten Anzug des Vaters, das offene Buch im Schoß, auf seiner Bank unter den Mandelbäumen sitzen, doch sie sah nicht den Mann, dem sie zu jener Zeit mehrmals zufällig begegnet war, sondern Florentina Ariza in dem Alter, in dem er ihr im Gedächtnis geblieben war. Sie fürchtete, diese Vision sei eine Ankündigung des Todes, und das machte sie traurig. Sie ging soweit zu überlegen, ob sie nicht vielleicht mit ihm glücklich geworden wäre, mit ihm allein in jenem Haus, das sie so liebevoll für ihn instand gesetzt hatte, wie er das seine für sie, und die bloße Überlegung erschreckte sie, ließ sie doch erkennen, welches Ausmaß ihr Unglück erreicht hatte. Da nahm sie ihre letzten Kräfte zusammen und zwang den Ehemann, mit ihr zu diskutieren, ohne Ausflüchte, sich ihr zu stellen, mit ihr zu kämpfen, mit ihr zusammen vor Wut über den Verlust des Paradieses zu weinen, bis sie die letzten Hähne krähen hörten, das Licht durch die Spitzengardinen des Palais' drang und die Sonne aufflammte und der von so vielem Reden unempfindlich gewordene Mann, von der schlaflosen Nacht erschöpft, mit einem vom vielen Weinen gekräftigten Herzen sich die Schnürsenkel der Halbstiefel festzurrte, alles festzurrte, was ihm noch von einem Mann geblieben war, und zu ihr sagte, ja, meine Liebste, sie führen weg, um die Liebe zu suchen, die ihnen in Europa verlorengegangen sei: gleich morgen und für immer. Es war ein so sicherer Entschluß, daß er mit dem Banco del Tesoro, der Bank, die seinen gesamten Besitz verwaltete, die sofortige Auflösung des umfangreichen Familienvermögens vereinbarte, das seit Urzeiten in Geschäften aller Art, in Investitionen und ehrwürdigen und trägen Papieren, breitgestreut angelegt war und von dem nur er genau wußte, daß es nicht so unmäßig war, wie die Legende behauptete: gerade genug, um nicht daran denken zu müssen. Was es wert war, sollte in geprägtes Gold verwandelt und nach und nach auf seine Banken im Ausland überwiesen werden, bis ihm und seiner Frau in diesem unbarmherzigen Heimatland keine Handbreit Erde, um darauf tot niederzufallen, mehr bliebe. Florentino Ariza aber existierte tatsächlich, allem zum Trotz, was zu glauben sie sich vorgenommen hatte. Er stand am Kai des französischen Überseedampfers, als sie mit Mann und Sohn in dem Landauer mit den goldenen Pferden vorfuhr, und er sah sie aussteigen, wie er sie so oft bei öffentlichen Veranstaltungen gesehen hatte: vollkommen. Sie kamen mit dem Sohn, der so erzogen war, daß man bereits absehen konnte, wie er als Erwachsener sein würde: wie er dann auch war. Juvenal Urbino grüßte Florentino Ariza mit einem fröhlichen Hutschwenken: »Wir brechen zur Eroberung Flanderns auf.« Fermina Daza nickte ihm zu, und Florentino Ariza nahm den Hut ab, machte eine leichte Verbeugung, und sie sah ihn an, ohne jede Anwandlung von Mitleid ob der vorzeitigen Verheerungen auf seinem Schädel. Er war so, wie sie ihn sehen wollte: der Schatten von jemandem, den sie nie gekannt hatte.
    Auch Florentino Ariza durchlebte nicht gerade seine beste Zeit. Zu der täglich intensiver werdenden Arbeit, dem Überdruß seines heimlichen Jägerdaseins und der schwülen Stille der Jahre kam die endgültige Krise von Tránsite Ariza, deren Gedächtnis schließlich bar jeder Erinnerung war: fast leer. Das ging so weit, daß sie sich ihm manchmal zuwandte, wenn sie ihn wie immer in seinem Sessel lesen sah, und ihn staunend fragte: »Und du, wessen Sohn bist du?« Er antwortete ihr immer mit der Wahrheit, doch sofort unterbrach sie ihn wieder.
    »Dann sag mir mal, Sohn«, fragte sie ihn, »wer bin ich?« Sie war so dick geworden, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte, und verbrachte den Tag in dem Kurzwarenladen, wo es nichts mehr zu verkaufen gab, dort putzte sie sich heraus, sobald sie mit den ersten Hähnen aufgestanden war, bis zum Morgengrauen des nächsten Tages, denn sie schlief nur wenige Stunden. Sie setzte sich Blumenkränze auf den Kopf, malte sich die Lippen an, puderte Gesicht und Arme und fragte schließlich jeden, der gerade in der Nähe war, wie sie denn nun aussähe. Die Nachbarn wußten, daß sie immer die gleiche Antwort erwartete: »Du bist die Cucarachita Martinez.« Allein mit dieser Identität, die von einer Figur aus einem Kindermärchen geliehen war, gab sie sich zufrieden. Sie wiegte sich dann weiter, fächerte sich mit einem Strauß langer rosa Federn, bis sie wieder von vorne

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