Die Liebe in den Zeiten der Cholera
eines Tages wegen eines für die Jahreszeit ungewöhnlichen Regenschauers die Frau, die Tránsite Ariza versorgte, länger als vorgesehen auf dem Markt blieb und diese, als sie dann zurückkam, tot vorfand. Tránsite Ariza saß überschminkt und blumengeschmückt wie immer im Schaukelstuhl und hatte so lebendige Augen und ein derart maliziöses Lächeln, daß die Betreuerin erst nach zwei Stunden merkte, daß sie tot war. Kurz zuvor hatte Tránsito Ariza ihre Besitztümer an Gold und Schmuck aus den unter dem Bett vergrabenen Krügen an die Kinder der Nachbarschaft verteilt und ihnen gesagt, sie könnten alles wie Bonbons essen; später war es dann nicht mehr möglich, einige der wertvollsten Stücke zurückzubekommen. Florentino Ariza begrub seine Mutter in der ehemaligen Hacienda »La Mano de Dios«, die damals noch als Cholerafriedhof bekannt war, und pflanzte einen Rosenstrauch auf ihr Grab. Bei einem seiner ersten Friedhofsbesuche entdeckte er, daß Olimpia Zuleta ganz in der Nähe begraben lag. Sie hatte keinen Grabstein, doch Name und Datum waren mit dem Finger in den frischen Zement über dem Grab geschrieben worden, und voller Grauen dachte er, dies sei der blutige Hohn des Ehemanns. Als der Rosenstrauch blühte, legte er ihr, wenn niemand zu sehen war, eine Rose aufs Grab, und später pflanzte er dort einen Steckling ein, den er vom Rosenstrauch der Mutter geschnitten hatte. Beide Rosenbüsche wucherten so fröhlich, daß Florentino Ariza eine Baumschere und andere Gartengeräte mitbringen mußte, um sie zurechtzustutzen. Aber auf die Dauer überstieg das seine Kräfte: Nach ein paar Jahren hatten sich die Rosen wie Unkraut zwischen den Gräbern ausgebreitet, und seitdem hieß der gute alte Pestfriedhof im Volksmund Rosenfriedhof, bis irgendein Bürgermeister, der weniger realistisch als die Bürger war, in einer Nacht mit den Rosen aufräumte und ein republikanisches Schild in den Torbogen am Eingang hängte: Städtischer Friedhof.
Der Tod der Mutter warf Florentino Ariza wieder ganz auf seine manischen Pflichtübungen zurück: das Büro, die genau geregelten Begegnungen mit seinen chronischen Geliebten, die Dominopartien im Club del Comercio, dazu die gleichen alten Liebesromane und die sonntäglichen Friedhofsbesuche. Es war der Rost der Routine, der, geschmäht zwar und gefürchtet, ihn vor dem Bewußtsein seines Alters bewahrt hatte. An einem Sonntag im Dezember aber, als die Rosen auf den Gräbern bereits über die Baumscheren gesiegt hatten, sah er die Schwalben auf den Leitungen für das erst kürzlich eingeführte elektrische Licht sitzen, und da wurde ihm auf einen Schlag klar, wieviel Zeit seit dem Tod seiner Mutter und seit der Ermordung von Olimpia Zuleta verstrichen war und wieviel mehr noch seit jenem anderen Nachmittag in einem fernen September, als er einen Brief von Fermina Daza bekommen hatte, in dem sie ihm schrieb, ja, sie werde ihn ewiglich lieben. Bisher hatte er sich so verhalten, als ob die Zeit nicht für ihn, sondern nur für die anderen verstriche. Erst in der vergangenen Woche hatte er auf der Straße eines der vielen Paare getroffen, die dank der von ihm geschriebenen Briefe geheiratet hatten, und dabei den ältesten Sohn, der sein Patenkind war, nicht erkannt. Er überspielte die Peinlichkeit mit dem geläufigen Ausruf: »Verflixt, das ist ja schon ein Mann!« Er selbst war, auch als ihm sein Körper bereits die ersten Alarmsignale gegeben hatte, immer noch der Alte, schließlich hatte er stets die eiserne Gesundheit der Kränklichen gehabt. Tránsite Ariza hatte gern behauptet: »Mein Sohn hat nichts außer der Cholera gehabt.« Natürlich verwechselte sie die Cholera mit der Liebe, und das schon lange bevor sich ihr Gedächtnis getrübt hatte. Sie irrte sich jedenfalls, denn der Sohn hatte in aller Stille sechs Tripper gehabt, von denen der Arzt allerdings behauptete, es seien nicht sechs gewesen, sondern immer ein und derselbe, der nach jeder verlorenen Schlacht wieder auflebte. Außerdem hatte er einmal Bubo, vier Feigwarzen und sechsmal Blasengrind gehabt, doch weder ihm noch sonst einem Mann wäre es je in den Sinn gekommen, darin Krankheiten und nicht Schlachttrophäen zu sehen.
Eben erst vierzig geworden, hatte er den Arzt wegen unbestimmter Schmerzen an verschiedenen Stellen des Körpers aufsuchen müssen. Dieser hatte ihm nach vielen Untersuchungen gesagt: »So was kommt mit dem Alter.« Er kam von den Untersuchungen stets nach Hause, ohne sich auch nur die Frage
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