Die Liebe in den Zeiten der Cholera
seiner Frau, so daß er schließlich nur noch dann Abführmittel nahm, wenn auch sie eines schluckte. Sie hatte seine Verständnislosigkeit satt und brachte einen ungewöhnlichen Geburtstagswunsch vor: Er solle einen Tag lang den Haushalt übernehmen. Er ging amüsiert darauf ein und übernahm bei Tagesanbruch tatsächlich die Herrschaft über das Haus. Er tischte ein prächtiges Frühstück auf, hatte aber vergessen, daß sie keine Spiegeleier vertrug und keinen Milchkaffee trank. Dann gab er Anweisungen für das Geburtstagsmahl mit acht geladenen Gästen und bestimmte, wie das Haus hergerichtet werden mußte, und er strengte sich so sehr an, den Haushalt besser als sie zu führen, daß er, noch bevor es Mittag war, ohne eine Geste der Beschämung kapitulieren mußte. Vom ersten Augenblick an merkte er, daß er vor allem in der Küche keinerlei Ahnung davon hatte, wo was war. Die Dienstmädchen ließen ihn nach jedem einzelnen Gegenstand alles durchwühlen, denn sie spielten das Spiel mit. Um zehn Uhr war noch keine Entscheidung für das Mittagessen getroffen, weil das Haus noch nicht geputzt und das Schlafzimmer noch nicht gemacht war, das Bad blieb ungewischt, er vergaß, Toilettenpapier hinzulegen, die Bettwäsche zu wechseln und den Kutscher die Kinder abholen zu lassen, und außerdem brachte er die Aufgaben des Personals durcheinander: Er befahl der Köchin, die Betten zu machen, und ließ die Zimmermädchen kochen. Um elf, kurz vor der Ankunft der Gäste, herrschte im Haus ein derartiges Chaos, daß Fermina Daza das Kommando wieder übernahm, sie lachte sehr, aber nicht so triumphal, wie sie es sich gewünscht hätte, sondern mitleidig gerührt über die Unfähigkeit ihres Mannes in häuslichen Dingen. Getroffen brachte er das immer gleiche Argument vor: »Zumindest war ich nicht so schlecht, wie du es wärst, solltest du einmal versuchen, Kranke zu heilen.« Doch die Lektion war lehrreich und nicht nur für ihn. Im Laufe der Jahre kamen beide auf unterschiedlichen Wegen zu dem weisen Schluß, daß es unmöglich war, auf andere Weise zusammenzuleben oder sich auf andere Weise zu lieben: Nichts auf dieser Welt war schwieriger als die Liebe.
In der Mitte ihres neuen Lebens begegnete Fermina Daza Florentino Ariza bei diversen öffentlichen Anlässen, und je höher dieser beruflich aufstieg, desto häufiger. Schließlich sah sie ihn mit einer solchen Unbefangenheit, daß sie in ihrer Zerstreutheit mehr als einmal vergaß, ihn zu grüßen. Sie hörte oft von ihm reden, denn sein behutsamer, doch unaufhaltsamer Aufstieg in der K.F.K. war ein Dauerthema in der Geschäftswelt. Sie sah, wie seine Manieren geschliffener wurden, seine Schüchternheit läuterte sich in eine Form von rätselhafter Ferne, die leichte Gewichtszunahme stand ihm gut, die Langsamkeit des Alters kam ihm entgegen, und er hatte gelernt, seinen kahlen Schädel mit Würde zu tragen. Das Einzige, was weiterhin Zeit und Mode trotzte, war seine düstere Aufmachung: die unzeitgemäßen Gehröcke, der immer gleiche Hut, die Dichterschleifen aus dem Kurzwarenladen der Mutter an Stelle von Krawatten, der bedrohliche Regenschirm. Fermina Daza gewöhnte sich allmählich daran, ihn mit anderen Augen zu sehen, und brachte ihn schließlich nicht mehr mit jenem sanftmütigen Jüngling in Verbindung, der sich, um sie anzuhimmeln, unter die gelb aufwirbelnden Blätter im Parque de los Evangelios gesetzt hatte. Jedenfalls sah sie ihn nie ohne Anteilnahme und freute sich stets, wenn sie gute Nachrichten über ihn hörte, weil diese sie nach und nach von ihrer Schuld entlasteten.
Als sie ihn schon ganz aus ihrer Erinnerung gelöscht zu haben glaubte, tauchte er jedoch da wieder auf, wo sie ihn am wenigsten vermutet hätte, in ein Gespenst ihrer Sehnsüchte verwandelt. Es war wie ein erster Anflug von Alter, daß sie, wann immer sie es vor dem Regen donnern hörte, das Gefühl beschlich, etwas Unwiederbringliches sei in ihrem Leben geschehen. Es war die unheilbare Wunde des einsamen, steinigen und pünktlichen Donners, der im Oktober täglich um drei Uhr mittags in der Sierra von Villanueva widerhallte, eine Erinnerung, die mit den Jahren immer frischer wurde. Denn während die neuen Erinnerungen sich nach wenigen Tagen in ihrem Gedächtnis vermengten, wurden die an die legendäre Reise durch die Provinz der Kusine Hildebranda, dank der perversen Genauigkeit der Nostalgie, so lebendig, als seien sie von gestern. Sie dachte an Manaure in der Sierra, mit seiner
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