Die Liebe in den Zeiten der Cholera
hätte sein können, er schaute die Frau kaum an, merkte sich jedoch genau ihre Personalien. An jenem Abend ließ er nach dem letzten Hausbesuch die Kutsche zu der Adresse fahren, die sie bei der Untersuchung angegeben hatte, und tatsächlich, da war sie und genoß die frische Märzluft auf der Terrasse.
Es war ein typisches Antillenhaus, bis zum Zinkdach gelb gestrichen, mit Segeltuchbahnen vor den Fenstern und Schalen voller Nelken und Farne, die über der Eingangstür hingen. Das Haus stand auf Holzpfeilern im Salzschlamm von Mala Crianza, und ein Trupial sang in seinem Käfig, der an das vorgezogene Dach gehängt war. Auf der anderen Straßenseite war eine Primarschule, und die herausstürmenden Kinder zwangen den Kutscher, das Pferd fest an die Kandare zu nehmen, damit es nicht scheute. Ein glücklicher Zufall, denn er gab Señorita Barbara Lynch Zeit, den Doktor zu erkennen. Sie begrüßte ihn wie einen alten Bekannten, lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein, bis der Tumult vorüber sei, was er ganz gegen seine Gewohnheit freudig annahm, während er ihr zuhörte, wie sie über sich erzählte, und das war das einzige, was ihn seit jenem Morgen interessierte, und auch das einzige, was ihn, ohne eine friedliche Minute, in den nächsten Monaten interessieren sollte. Bei irgendeiner Gelegenheit, er war damals gerade frisch verheiratet gewesen, hatte ihm ein Freund in Gegenwart seiner Frau prophezeit, er werde sich früher oder später einer verrückten Leidenschaft stellen müssen, die auch die Stabilität seiner Ehe gefährden könne. Er, der sich selbst zu kennen glaubte und wußte, wie fest er moralisch verwurzelt war, hatte über die Prognose gelacht. Nun gut: Jetzt hatte sie sich erfüllt.
Señorita Barbara Lynch, Doktorin der Theologie, war die einzige Tochter des Pastors Jonathan B. Lynch, eines protestantischen Geistlichen, der, schwarz und eingefallen, auf einem Maultier durch die ärmlichen Weiler der Marisma ritt und die Botschaft eines der vielen Götter predigte, die Doktor Juvenal Urbino klein schrieb, um sie von seinem Gott zu unterscheiden. Sie sprach ein gutes Spanisch mit einem Stolpersteinchen in der Syntax, das ihren Charme immer wieder betonte. Im Dezember würde sie ihren achtundzwanzigsten Geburtstag feiern, vor kurzem erst hatte sie sich von einem anderen Pastor scheiden lassen, einem Schüler ihres Vaters, mit dem sie zwei Jahre lang eine schlechte Ehe geführt hatte, und sie verspürte nicht den Wunsch, einen solchen Fehler noch einmal zu machen. Sie sagte: »Ich habe keine Liebe außer meinem Trupial.« Doktor Urbino aber war ein zu ernsthafter Mann, um anzunehmen, daß sie dies mit aller Absicht gesagt hatte. Im Gegenteil: Er fragte sich verstört, ob so viele günstige Bedingungen auf einmal nicht eine Falle Gottes sein könnten, um ihn später mit Zinsen zur Kasse zu bitten, doch diesen Gedanken schob er sogleich als theologischen Unfug beiseite, der seinem verwirrten Zustand zuzuschreiben war. Bevor er sich verabschiedete, machte er noch eine beiläufige Bemerkung über die ärztliche Untersuchung am Morgen, wohl wissend, daß ein Kranker nichts lieber tut, als über seine Leiden zu sprechen, und sie sprach so glänzend über die ihren, daß er ihr versprach, am nächsten Tag Punkt vier Uhr zu einer eingehenderen Untersuchung wiederzukommen. Sie erschrak: Sie wußte, daß ein Arzt dieser Klasse ihre finanziellen Möglichkeiten überstieg, doch er beruhigte sie: »In diesem Beruf richten wir es so ein, daß die Reichen für die Armen mitbezahlen.« Dann trug er in sein Notizbuch ein: Señorita Barbara Lynch, Marisma de la Mala Crianza, Sonnabend 16 Uhr. Monate später sollte Fermina Daza diese Eintragung sowie die hinzugekommenen Einzelheiten über Diagnose, Therapie und Krankheitsverlauf lesen. Der Name fiel ihr auf, und sie meinte zunächst, es könne sich um eine dieser aus der Bahn geworfenen Sängerinnen von den Obstfrachtern aus New Orleans handeln, doch die Adresse sprach eher dafür, daß sie aus Jamaika stammte, also eine Schwarze war, und Fermina Daza schloß sie ohne Schmerz aus den Vorlieben ihres Mannes aus.
Doktor Juvenal Urbino kam am Sonnabend zehn Minuten früher zu der Verabredung, als Señorita Lynch noch dabei war, sich für seinen Empfang umzuziehen. Seit seinen Pariser Jahren, als er zu mündlichen Prüfungen hatte antreten müssen, hatte er nicht mehr eine solche innere Anspannung verspürt. In einem zarten Seidenunterrock auf dem Bett ausgestreckt, war Señorita
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