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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Lynch von nicht endender Schönheit. Alles an ihr war groß und intensiv: ihre Sirenenschenkel, ihre auf kleiner Flamme glühende Haut, ihre erstarrten Brüste, ihr leuchtendes Zahnfleisch mit den vollkommenen Zähnen, und ihr ganzer Körper verströmte Gesundheit, jenen menschlichen Geruch, den Fermina Daza an den Kleidern ihres Mannes wahrnahm. Barbara Lynch hatte die Ambulanz aufgesucht, weil sie an etwas litt, was sie selbst humorvoll als krumme Koliken bezeichnete, und Doktor Urbino war der Ansicht, das sei ein Symptom, dem man nachgehen müsse. Also tastete er ihre inneren Organe mit mehr Absicht als Umsicht ab, vergaß darüber seine ärztliche Weisheit und stellte überrascht fest, daß diese wundervolle Kreatur innerlich eben so schön war wie äußerlich, und er gab sich dann den Wonnen des Tastsinns hin, nun schon nicht mehr der bestqualifizierte Arzt der Karibikküste, sondern ein armer Kerl, der vom Aufruhr seiner Instinkte gepeinigt wurde. Nur einmal war ihm in seinem strengen Berufsleben etwas Ähnliches passiert, und das war für ihn der Tag seiner größten Schande gewesen, denn die Patientin hatte empört seine Hand weggeschoben, sich im Bett aufgesetzt und gesagt: »Sie können bekommen, was sie wollen, aber so nicht.« Señorita Lynch hingegen überließ sich seinen Händen, und als sie dann keinen Zweifel mehr daran hatte, daß der Arzt schon nicht mehr an seine Wissenschaft dachte, sagte sie: »Ich dachte, das ließe die Ethik nicht zu.« Er war so schweißdurchnäßt, als stiege er angekleidet aus einem Teich, und trocknete sich Hände und Gesicht mit einem Handtuch ab.
    »Die Ethik«, sagte er, »meint, daß Ärzte aus Stein sind.« Sie reichte ihm dankbar eine Hand.
    »Die Tatsache, daß ich das geglaubt habe, bedeutet nicht, daß man es nicht tun kann«, sagte sie. »Denk nur, was das für eine arme Schwarze wie mich bedeutet, wenn ein so bekannter Mann ein Auge auf mich wirft.« »Ich habe nicht einen Augenblick aufgehört, an Sie zu denken«, sagte er.
    Das war ein so zitterndes Geständnis, daß es schon bedauernswert wirkte. Aber sie erlöste ihn von allem Übel mit einem Lachen, das den Schlafraum erleuchtete. »Das weiß ich, seitdem ich dich im Hospital gesehen habe, Doktor«, sagte sie. »Ich bin zwar schwarz, aber blöd bin ich nicht.«
    Es war alles andere als leicht. Fräulein Lynch beanspruchte für sich einen guten Ruf, Sicherheit und Liebe, in dieser Reihenfolge, und glaubte, das auch alles verdient zu haben. Sie gab Doktor Urbino Gelegenheit, sie zu umgarnen, er durfte jedoch, selbst wenn sie allein zu Hause war, nicht weiter vordringen. Das Äußerste, was sie erlaubte, war ein abermaliges Abtasten und Abhören mit allen Verstößen gegen die Ethik, die er wollte, aber ausziehen ließ sie sich nicht. Er seinerseits kam nicht von dem Köder los, nach dem er geschnappt hatte, und wiederholte fast täglich seine Sturmangriffe. Aus praktischen Gründen war eine dauerhafte Beziehung zu Señorita Lynch für ihn so gut wie unmöglich, doch er war zu schwach, sich rechtzeitig zu bremsen, wie er später auch zu schwach sein sollte, weiterzugehen. Er hatte seine Grenze erreicht.
    Pastor Lynch führte kein geregeltes Leben, irgendwann zog er mit seinem Maultier los, das auf der einen Seite mit Bibeln und evangelischen Missionsschriften und auf der anderen mit Proviant beladen war, und kehrte meist dann zurück, wenn man ihn am wenigsten erwartete. Ein weiterer Nachteil war die gegenüberliegende Schule. Denn die Kinder leierten ihre Lektionen mit Blick auf die Straße herunter und hatten dabei die beste Aussicht auf das Haus gegenüber und seine von sechs Uhr früh an weit geöffneten Fenster und Türen, sie sahen, wie Señorita Lynch den Vogelkäfig am Vordach befestigte, damit der Trupial die Unterrichtslektionen lernte, sie sahen, wie sie, einen bunten Turban auf dem Kopf, bei der Hausarbeit die Lektionen mit ihrer leuchtenden karibischen Stimme mitsang und wie sie später, allein im Vorraum sitzend, englische Vesperpsalme anstimmte.
    Die beiden mußten also einen Zeitpunkt abpassen, wenn die Kinder nicht dort waren, und da gab es nur zwei Möglichkeiten: zwischen zwölf und zwei Uhr in der Mittagspause - zu der Zeit war jedoch auch der Doktor beim Mittagessen - oder am späten Nachmittag, wenn die Kinder heimgingen. Das war von jeher die beste Zeit für dergleichen gewesen, aber der Doktor hatte dann bereits seine Hausbesuche beendet, so daß ihm nur noch wenige Minuten blieben, bis

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