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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Küche, fuhr mit der Gabel in die Töpfe und aß im Stehen vor dem Herd von allem ein bißchen, ohne es sich erst auf einen Teller zu füllen, und redete dabei mit den Dienstmädchen, den einzigen, bei denen sie sich wohl fühlte und mit denen sie sich auch am besten verstand. Aber sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich der Gegenwart des Toten zu entziehen: Wo immer sie ging und stand, was immer sie tat, stets stieß sie auf etwas, das an ihn erinnerte. Und wenn der Schmerz ihr auch recht und billig erschien, wollte sie sich darin doch keinesfalls genüßlich ergehen. So rang sie sich zu dem drastischen Entschluß durch, alles, was sie an den toten Ehemann erinnerte, aus dem Haus zu verbannen; das schien ihr die einzige Möglichkeit, ohne ihn weiterzuleben. Es war eine Zeremonie der Vernichtung. Der Sohn erklärte sich bereit, die Bücher zu übernehmen, damit Fermina Daza in der Bibliothek das Nähzimmer einrichten konnte, das sie als verheiratete Frau nie gehabt hatte. Die Tochter wollte ihrerseits einige Möbel sowie zahlreiche Gegenstände mitnehmen, die ihr für die Antiquitätenauktionen in New Orleans besonders geeignet zu sein schienen. Das alles war eine Erleichterung für Fermina Daza, auch wenn es sie unangenehm berührte, daß die Dinge, die sie auf ihrer Hochzeitsreise gekauft hatte, nun schon Altertümer für Antiquare waren. Zum stillen Entsetzen des Personals, der Nachbarn und der engeren Freundinnen, die in jenen Tagen zu ihr kamen, um ihr Gesellschaft zu leisten, ließ sie auf einem leeren Stück Land hinter dem Haus einen Scheiterhaufen errichten und verbrannte dort alles, was sie an ihren Mann erinnerte: die teuerste und eleganteste Garderobe, die seit dem vergangenen Jahrhundert in der Stadt gesehen worden war, die feinsten Schuhe, die Hüte, die ihm ähnlicher waren als seine Porträts, der Schaukelstuhl für die Siesta, aus dem er sich ein letztes Mal zum Sterben erhoben hatte, unzählige Gegenstände, die so eng mit seinem Leben verbunden gewesen waren, daß sie schon Bestandteile seiner Identität waren. Sie tat es ohne den Anflug eines Zweifels und in der vollen Überzeugung', daß ihr Mann es gutgeheißen hätte, und zwar nicht nur aus Gründen der Hygiene. Er hatte oft von seinem Wunsch gesprochen, eingeäschert zu werden, statt in der ritzenlosen Dunkelheit einer Zedernkiste eingesperrt, zu sein. Seine Religion ließ das natürlich nicht zu, dennoch: Er war so kühn gewesen, für alle Fälle beim Erzbischof vorzufühlen, doch der hatte es rundweg abgelehnt. Es war auch nur eine Wunschvorstellung gewesen, denn die katholische Kirche erlaubte auf unseren Friedhöfen keine Krematorien, nicht einmal für Andersgläubige, und außer Juvenal Urbino kam auch keiner je auf den Gedanken, es könnte zweckmäßig sein, welche zu errichten. Fermina Daza hatte seine Angst nicht vergessen und sogar in der Verwirrung der ersten Stunde daran gedacht, den Schreiner zu beauftragen, ihrem Mann zum Trost einen Lichtspalt im Sarg zu lassen.
    Es war jedenfalls ein sinnloses Brandopfer. Fermina Daza sah sehr bald ein, daß das Feuer der Erinnerung an den toten Ehemann ebensowenig anhaben konnte wie das Verstreichen der Zeit. Schlimmer noch: Nach der Kleiderverbrennung sehnte sie sich nun nicht mehr nur nach all dem, was sie an ihm geliebt hatte, sondern obendrein noch nach dem, was sie am meisten gestört hatte: nach dem Krach, den er beim Aufstehen machte. Diese Erinnerungen halfen ihr dabei, aus dem Mangrovendickicht der Trauer herauszufinden. Vor allem aber enschloß sie sich, in Zukunft so an ihren Mann zu denken, als sei er nicht gestorben. Sie wußte, es würde weiterhin schwer sein, jeden Morgen aufzuwachen, doch von mal zu mal weniger.
    Am Ende der dritten Woche sah sie tatsächlich einen ersten Lichtschimmer. Doch während dieser größer und heller wurde, kam ihr zu Bewußtsein, daß ihr ein Gespenst im Wege stand, das ihr keinen ruhigen Augenblick gönnte. Es war nicht das jammervolle Gespenst, das ihr im kleinen Parque de los Evangelios aufgelauert hatte und an das sie sich auf ihre alten Tage mit einer gewissen Zärtlichkeit erinnerte, sondern das abscheuliche Gespenst im Henkersrock mit dem an die Brust gedrückten Hut, dieser Mann, der sie mit seiner dummen Dreistigkeit so sehr verstört hatte, daß es ihr schon nicht mehr möglich war, nicht an ihn zu denken. Seitdem sie ihn als Achtzehnjährige abgewiesen hatte, war sie immer überzeugt gewesen, ein Samenkorn des Hasses in ihn

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