Die Liebe in den Zeiten der Cholera
gesenkt zu haben, das mit der Zeit aufgehen mußte. Sie hatte jederzeit mit diesem Haß gerechnet, spürte ihn in der Luft, wenn das Gespenst in ihrer Nähe war, schon es zu sehen, beklemmte sie, erschreckte sie dermaßen, daß sie nie unbefangen mit ihm umzugehen lernte. In der Nacht, in der er ihr erneut seine Liebe beteuerte, während noch der Duft der Blumen für den toten Ehemann durchs Haus zog, konnte sie sich nicht vorstellen, daß jene Unverschämtheit etwas anderes war, als der erste Schritt eines wer weiß was für finsteren Racheplans.
Die Hartnäckigkeit dieser Erinnerung steigerte ihre Wut. Als sie am Tag nach der Beerdigung beim Aufwachen an ihn dachte, gelang es ihr noch, ihn mit einem einfachen Willensakt aus ihren Gedanken zu bannen. Doch die Wut überkam sie immer wieder, und sie merkte sehr bald, daß der Wunsch, ihn zu vergessen, der stärkste Antrieb war, an ihn zu denken. Von der Wehmütigkeit besiegt, wagte sie dann zum ersten Mal, sich die trügerischen Zeiten jener unwirklichen Liebe zu vergegenwärtigen. Sie versuchte, sich den kleinen Platz, so wie er damals gewesen war, ins Gedächtnis- zu rufen, die morschen Mandelbäume, die Bank, von der aus er sie angehimmelt hatte, denn nichts war noch so wie damals. Alles war verändert worden, die Bäume mit ihrem gelben Blätterteppich hatte man entfernt, anstelle der enthaupteten Statue war die eines anderen Helden in Galauniform aufgestellt worden, den kein Name, keine Jahreszahlen und keine Inschrift rechtfertigte, er stand auf einem klobigen Piedestal, in das man die Stromsicherungen für das Wohnviertel eingebaut hatte. Ihr Haus, das vor vielen Jahren endlich verkauft worden war, zerbröckelte der Provinzregierung unter den Händen. Es fiel ihr nicht leicht, sich Florentino Ariza so vorzustellen, wie er damals gewesen war, und noch weniger wollte ihr in den Kopf, daß jener verschlossene Jüngling, der so schutzlos im Regen gesessen hatte, derselbe wie dieser mottenzerfressene alte Mann war, der sich vor ihr aufgepflanzt hatte und ihr ohne jede Rücksicht auf ihren Zustand, ohne die geringste Achtung vor ihrem Schmerz die Seele mit einer rotglühenden Beleidigung versengt hatte, die ihr noch immer den Atem nahm. Kusine Hildebranda Sánchez war kurz nach Fermina Dazas Aufenthalt auf der Hacienda in Hores de María, wo sich diese von der bösen Stunde der Señorita Lynch erholt hatte, zu Besuch gekommen. Alt, fett und glücklich war sie in Begleitung ihres Sohnes eingetroffen, der Oberst im Heer war wie sein Vater, von diesem aber wegen seiner unwürdigen Rolle bei dem Massaker an den Arbeitern der Bananenplantagen in San Juan de la Ciénaga verstoßen worden war. Die beiden Kusinen hatten sich oft gesehen, und die Stunden waren ihnen bei wehmütigen Erinnerungen an die Zeit, in der sie sich kennengelernt hatten, stets wie im Flug vergangen. Bei ihrem letzten Besuch wirkte Hildebranda wehmütiger als je zuvor, und sie trug hart an der Last des Alters. Um die Sehnsucht besser auskosten zu können, hatte sie ihren Abzug des Fotos mitgebracht, das der belgische Fotograf von ihnen als Damen aus alter Zeit an jenem Nachmittag aufgenommen hatte, an dem der junge Juvenal Urbino der eigenwilligen Fermina Daza den Gnadenstoß versetzt hatte. Ferminas Abzug war verlorengegangen, und auf dem von Hildebranda war kaum noch etwas zu sehen, beide aber erkannten sich auch durch den Nebel der Ernüchterung: jung und schön, wie sie es niemals wieder sein würden. Für Hildebranda war es unmöglich, nicht über Florentino Ariza zu sprechen, da sie stets ihr Schicksal in dem seinen gesehen hatte. Sie erinnerte sich an ihn wie an den Tag, an dem sie ihr erstes Telegramm aufgegeben hatte, und es war ihr nie gelungen, dieses Bild eines traurigen, zum Vergessen verurteilten kleinen Vogels aus ihrem Herzen zu tilgen. Fermina dagegen hatte ihn oft gesehen, ohne sich freilich mit ihm zu unterhalten, und sie wollte nicht wahrhaben, daß dieser Mann ihre erste Liebe gewesen sein sollte. Sie hatte von Zeit zu Zeit etwas über ihn erfahren, da sie früher oder später über jeden etwas erfuhr, der in der Stadt Bedeutung erlangte. Es hieß, er habe nicht geheiratet, weil er andere Vorlieben pflege, doch sie hatte nichts daraufgegeben, teils weil sie nie auf Gerüchte gehört hatte, teils weil Ähnliches von vielen unverdächtigen Männern behauptet wurde. Seltsam erschien ihr hingegen, daß Florentino Ariza auch weiterhin seine wunderliche Kleidung und seine seltsamen
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