Die Liebe in den Zeiten der Cholera
sondern alle wegen der Verdienste ihrer Herkunft geladen waren, der die Politik und die Schrecken des Krieges nie etwas hatten anhaben können. So gesehen fehlte in der Tat niemand.
Der Regenguß hörte plötzlich auf, wie er begonnen hatte, und sofort entbrannte die Sonne am wolkenlosen Himmel. Das Unwetter war jedoch so gewalttätig gewesen, daß es einige Bäume entwurzelt hatte, und das gestaute Flüßchen war über seine Ufer getreten und hatte den Hof in einen Sumpf verwandelt. Das größte Unheil herrschte in der Küche. Man hatte mehrere Feuerstellen aus Ziegelsteinen hinter dem Haus im Freien errichtet, und die Köche hatten kaum Zeit gehabt, die Kessel vor dem Regen in Sicherheit zu bringen. Sie verloren kostbare Zeit damit, einen Teil der überschwemmten Küche wieder funktionsfähig zu machen und in der rückwärtigen Galerie neue Feuerstellen zu improvisieren. Doch um ein Uhr mittags war die Notlage gemeistert, und es fehlte nur noch das Dessert, das man bei den Nonnen von Santa Clara bestellt hatte, die es bis elf Uhr hätten liefern sollen. Nun wurde befürchtet, daß der Bach beim Camino Real wie schon in weniger strengen Wintern aus seinem Bett getreten sei, und in diesem Fall war mit dem Nachtisch frühestens in zwei Stunden zu rechnen. Sobald der Regen aufhörte, wurden die Fenster geöffnet, und das Haus kühlte sich in der vom schwefligen Gewitter gereinigten Luft ab. Dann wurde die Kapelle angewiesen, ihr Walzerprogramm auf der überdachten Terrasse zu spielen, was die Beklemmung jedoch abermals verstärkte, da man sich wegen der Resonanz der Blechinstrumente im Haus nur noch schreiend unterhalten konnte. Des Wartens müde und am Rande der Tränen lächelnd, gab Aminta de Olivella den Befehl, das Essen aufzutragen.
Das Streichquartett der Kunstakademie begann sein Konzert inmitten eines förmlichen Schweigens, das solange wie die Anfangstakte von Mozarts La Chasse anhielt. Trotz des immer lauteren Stimmengewirrs und der Störung durch die schwarzen Kellner von Don Sancho, die mit ihren dampfenden Schüsseln kaum zwischen den Tischen hindurchkamen, gelang es Doktor Urbino, sich bis zum Ende des Programms einen offenen Empfangskanal für die Musik zu erhalten. Seine Konzentration hatte von Jahr zu Jahr nachgelassen, bis er sich jeden Schachzug auf einem Zettel notieren mußte, um auf dem laufenden zu bleiben. Dennoch war es ihm immer noch möglich, ein ernsthaftes Gespräch zu führen und gleichzeitig ein Konzert zu verfolgen. Allerdings erreichte er dabei nicht solch meisterliche Extreme wie ein deutscher Dirigent, ein enger Freund aus seiner österreichischen Zeit, der die Partitur von Don Giovanni las, während er Tannhäuser hörte. Das zweite Stück im Programm, Der Tod und das Mädchen von Schubert, schien ihm mit billiger Dramatik gespielt. Während er es nur mit Mühe durch den neuen Lärm der Bestecke auf den Tellern hindurch anhörte, blieb sein Blick an einem jungen Mann mit rosigem Gesicht hängen, der ihn mit einem Neigen des Kopfes grüßte. Er hatte ihn irgendwo gesehen, kein Zweifel, doch er wußte nicht mehr, wo. Das passierte ihm häufig, vor allem mit den Namen der Leute, selbst der bekanntesten, oder mit einer Melodie aus einer anderen Zeit, und es versetzte ihn in eine so entsetzliche Unruhe, daß er eines Nachts lieber gestorben wäre, als dies bis zum Morgengrauen zu ertragen. Er war kurz davor, diesen Zustand zu erreichen, als ein mildtätiger Blitz ihm das Gedächtnis erleuchtete: Der junge Mann war im vergangenen Jahr sein Schüler gewesen. Er war überrascht, ihn dort im Reich der Erwählten zu sehen, doch Doktor Olivella erinnerte ihn daran, daß es der Sohn des Gesundheitsministers war, der in die Stadt gekommen war, um an einer Dissertation in Gerichtsmedizin zu arbeiten. Doktor Juvenal Urbino winkte ihm einen fröhlichen Gruß zu, und der junge Arzt stand auf und antwortete mit einer Verbeugung. Doch weder dann noch später kam Doktor Urbino darauf, daß es sich um den Assistenzarzt handelte, der an jenem Morgen mit ihm zusammen im Haus von Jeremiah de Saint-Amour gewesen war.
Erleichtert angesichts eines weiteren Siegs über das Alter, gab er sich der durchsichtigen und fließenden Lyrik des letzten Stücks im Programm hin, das er nicht einordnen konnte. Später sagte ihm der junge Cellist der Gruppe, der gerade aus Frankreich heimgekehrt war, daß es das Streichquartett von Gabriel Fauré gewesen sei, von dem Doktor Urbino trotz seiner Hellhörigkeit für Neues
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