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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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noch nicht erwogen, als sie das sagte, doch indem sie es in Betracht zog, wurde es zur beschlossenen Sache. Sohn und Schwiegertochter zeigten größtes Verständnis. Florentino Ariza beeilte sich klarzustellen, daß Fermina Daza auf seinen Schiffen Ehrengast sein würde, eine wie ihr eigenes Haus ausgestattete Kabine für sie bereitstünde, daß sie bestens bedient und der Kapitän persönlich über ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden wachen würde. Florentino Ariza brachte Karten von der Reiseroute mit, um sie zu begeistern, Postkarten von furiosen Sonnenuntergängen, Gedichte auf das ursprüngliche Paradies von La Magdalena, geschrieben von berühmten Reisenden oder von solchen, die durch das herrliche Gedicht berühmt geworden waren. Wenn sie in Laune war, warf sie einen Blick darauf. »Du mußt mich nicht wie ein Kind überlisten. Wenn ich fahre«, sagte sie, »dann fahre ich, weil ich es so entschieden habe, und nicht wegen der landschaftlichen Reize.« Als der Sohn vorschlug, seine Frau könne sie begleiten, lehnte sie das rundweg ab: »Ich bin alt genug, auf mich muß keiner aufpassen.« Sie regelte die Einzelheiten der Reise selbst. Bei dem Gedanken, acht Tage flußaufwärts und fünf flußabwärts nur mit dem Allernötigsten zu leben, spürte sie eine unendliche Erleichterung: nur ein halbes Dutzend Baumwollkleider, das Waschzeug, ein Paar Schuhe, um an Bord zu gehen und das Schiff später wieder zu verlassen, für die Reise Hausschuhe, und sonst nichts: der Traum ihres Lebens.
    Im Januar 1824 hatte der Gründer der Flußschiffahrt, Kommodore Juan B. Eibers, die Flagge auf dem ersten Dampfschiff gesetzt, das den Magdalena durchfurchen sollte, ein primitiver Kasten von vierzig Pferdestärken, der Fidelidad, Treue, hieß. Ein gutes Jahrhundert später begleiteten Doktor Urbino Daza und seine Frau die Mutter an Bord des Schiffes, mit dem sie ihre erste Reise auf dem Fluß machen sollte. Es war das erste, das von heimischen Werften gebaut worden war, und Florentino Ariza hatte es in Erinnerung an seinen ruhmreichen Vorgänger Nueva Fidelidad getauft. Fermina Daza wollte nie glauben, daß es sich bei diesem für sie beide so bedeutsamen Namen tatsächlich um einen historischen Zufall handelte und nicht um einen weiteren geistreichen Einfall, der Florentino Arizas chronischem Romantisieren zu verdanken war.
    Jedenfalls hatte die Nueva Fidelidad im Unterschied zu anderen alten oder modernen Flußdampfern neben der Kapitänskabine noch eine weitere großzügige Kabine mit allem Komfort: ein kleiner Salon mit Bambusmöbeln in fröhlichen Farben, ein ganz mit chinesischen Motiven dekoriertes eheliches Schlafzimmer, ein Bad mit Wanne und Dusche, dazu einen überdachten Ausguck mit Hängepflanzen und Aussicht auf das Vorderschiff sowie beide Seiten. Im übrigen schützte ein geräuscharmes Kühlsystem den ganzen Raum vor dem Getöse draußen und tauchte ihn in ein Klima ständigen Frühlings. Diese Luxussuite, die Präsidentenkabine genannt wurde, weil bereits drei Präsidenten der Republik darin gereist waren, hatte keinen kommerziellen Zweck, sie war für hohe Amtsträger und besondere Ehrengäste reserviert. Florentino Ariza hatte sie, kaum zum Präsidenten der K. F. K. gewählt, aus Repräsentationsgründen einrichten lassen, dabei jedoch die innere Gewißheit gehabt, daß sie früher oder später das glückliche Refugium seiner Hochzeitsreise mit Fermina Daza sein würde.
    Als es soweit war, zog diese denn auch als Herrin und Besitzerin in die Kabine ein. Der Kapitän des Schiffes machte mit Champagner und Räucherlachs für Doktor Urbino Daza, seine Gattin und für Florentino Ariza die Honneurs an Bord. Er hieß Diego Samaritano und trug eine weiße Leinenuniform, die von den Stiefelspitzen bis zur Mütze mit dem in Goldfäden eingestickten Wappen der K. F. K. absolut untadelig war; wie die anderen Flußkapitäne hatte er die Korpulenz eines Ceibabaums, die gebieterische Stimme und das Auftreten eines florentinischen Kardinals. Um sieben Uhr abends ertönte das erste Aufbruchsignal, das in Fermina Dazas linkem Ohr mit einem stechenden Schmerz widerhallte. In der Nacht zuvor hatte sie von unheilvollen Vorzeichen erfüllte Träume gehabt, die sie nicht zu deuten wagte. Sehr früh am Morgen hatte sie sich noch zum in der Nähe liegenden Pantheon des Priesterseminars fahren lassen, wie damals der Friedhof von La Manga genannt wurde, und vor der Krypta ihres verstorbenen Mannes stehend, hatte sie sich mit ihm in einem

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