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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Tierchen unangefochten unsere harmlosen Steinfilter passieren konnten. Dem Zisternenwasser wurde lange Zeit und durchaus mit Stolz der Hodenbruch zugeschrieben, den viele Männer der Stadt nicht nur ohne Scham, sondern gar mit so etwas wie patriotischer Unverfrorenheit herumtrugen. Als Juvenal Urbino in die Primarschule ging, konnte er an heißen Nachmittagen nicht einen Angstschauer unterdrücken, wenn er die Bruchkranken in ihren Hauseingängen sitzen und sich den riesigen Hoden fächeln sah, als sei der ein zwischen den Beinen eingeschlafenes Kind. Es hieß, ein Bruch gäbe in Gewitternächten das Pfeifen eines Trauervogels von sich und krümme sich unter unerträglichen Schmerzen, wenn in der Nähe eine Geierfeder verbrannt werde, doch niemand klagte über solche Beschwerden, da ein großer, mit Haltung getragener Hoden einem Mann zur Ehre gereichte. Als Doktor Juvenal Urbino aus Europa zurückkehrte, wußte er sehr wohl, daß sich solche Vorstellungen wissenschaftlich nicht halten ließen, im lokalen Aberglauben waren sie aber so fest verankert, daß sich viele einer mineralischen Anreicherung des Zisternenwassers widersetzten, befürchteten sie doch, es könne ihm damit die Qualität verlorengehen, einen ehrwürdigen Hodenbruch zu verursachen. Ebensosehr wie über die Verunreinigung des Wassers war Doktor Juvenal Urbino über den hygienischen Zustand des öffentlichen Marktes beunruhigt, der im Freien auf einem weitläufigen Gelände an der Bahia de las Animas lag, wo die Segelschiffe von den Antillen festmachten. Ein berühmter Reisender der Zeit beschrieb den Markt als einen der mannigfaltigsten der Welt. Er war in der Tat reich, üppig und laut, zugleich aber auch äußerst gefährlich. Er stand auf seinen eigenen Abfällen und war den Launen der Gezeiten ausgesetzt, da dort die Bucht den unverdaulichen Unrat der Kloaken ans Ufer erbrach. Auch die Abfälle des nahen Schlachthofs wurden hier abgeladen, abgetrennte Köpfe, faulige Innereien, Tiermist, all das trieb Tag und Nacht in einem Sumpf von Blut. Hühnergeier, Ratten und Hunde lieferten sich inmitten der von den Vordächern der Verkaufsbuden herabhängenden Hirsche und schmackhaften Lämmer aus Sotavento und den am Boden auf Matten ausgebreiteten Frühjahrsgemüsen aus Arjona einen ständigen Kampf um die Abfälle. Doktor Juvenal Urbino wollte den Ort sanieren, der Schlachthof sollte verlegt und ein überdachter Markt mit Glaskuppeln gebaut werden, ähnlich dem, den er in den alten Boquerias von Barcelona gesehen hatte, wo die Nahrungsmittel so prächtig und sauber aussahen, daß es ein Jammer war, sie aufzuessen. Aber selbst die zuvorkommendsten unter seinen angesehenen Freunden lächelten mitleidig über seine hoffnungslose Leidenschaft. So waren sie: Ein Leben lang beriefen sie sich auf ihre stolze Herkunft, die historischen Verdienste der Stadt, den Wert ihrer Reliquien, auch auf ihre Tapferkeit und ihre Schönheit, sobald es aber darum ging, dem fortschreitenden Verfall ins Auge zu sehen, stellten sie sich blind. Doktor Juvenal Urbino hingegen liebte die Stadt hinreichend, um sie mit den Augen der Wahrheit zu sehen.
    »Wie erhaben muß diese Stadt sein«, pflegte er zu sagen, »daß wir uns nun schon vierhundert Jahre lang bemühen, sie zugrunde zu richten, und es noch nicht geschafft haben.« Es fehlte jedoch nicht viel. In elf Monaten hatte die Choleraepidemie, die ihre ersten Opfer in die Pfützen des Markts gestreckt hatte, das größte Sterben in unserer Geschichte verursacht. Bis dahin waren einige wenige bedeutende Tote unter den Steinplatten der Kirchen, in der kühlen Nachbarschaft von Erzbischöfen und Kapitularen bestattet worden, und die anderen, weniger reichen, hatte man in den Klosterhöfen begraben. Die Armen landeten auf dem Kolonialfriedhof, auf einem windigen Hügel, von der Stadt durch einen ausgetrockneten Kanal getrennt, über den eine gemauerte Brücke mit Sonnenschutz führte, an der auf Befehl irgendeines hellsichtigen Bürgermeisters eine Tafel angebracht worden war: Lasdate ogni speranza voi ch'entrate. Nach den ersten zwei Cholerawochen war der Friedhof überfüllt, und auch in den Kirchen gab es kein freies Eckchen mehr, obwohl man die morschen Überreste zahlreicher namenloser Helden in das allgemeine Gebeinhaus überführt hatte. Die Luft in der Kathedrale war mit den aus den schlecht versiegelten Krypten aufsteigenden Dämpfen durchsetzt, und die Kirche wurde geschlossen. Ihre Tore sollten sich erst drei Jahre

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