Die Liebe in den Zeiten der Cholera
einen, auf dem ein Arzt mit dem Tod um eine nackte Kranke rang; der in gotischen Lettern gedruckte hippokratische Eid blieb an seinem Platz, und neben das einzige Diplom seines Vaters hängte er die vielen verschiedenen Diplome, die er mit den besten Beurteilungen an verschiedenen Schulen Europas erworben hatte. Er versuchte neuartige Maßstäbe im Hospital de la Misericordia zu setzen, was aber nicht so leicht war, wie er es sich in seiner jugendlichen Begeisterung gedacht hatte, da das altehrwürdige Krankenhaus an abergläubischen Atavismen festhielt. Da wurden beispielsweise die Beine der Krankenbetten in Wassertöpfe gestellt, um zu verhindern, daß die Krankheiten heraufkrochen, man hielt sich auch noch an die Vorschrift, im Operationssaal Gesellschaftskleidung und Wildlederhandschuhe zu tragen, da man es für erwiesen hielt, daß Eleganz eine wesentliche Voraussetzung der Asepsis sei. Sie alle ertrugen es nicht, daß der neuangekommene Spunt vom Urin eines Kranken kostete, um den Zuckergehalt festzustellen, daß er Charcot und Trousseau zitierte, als seien sie seine Zimmergenossen, daß er im Unterricht nachdrücklich vor den tödlichen Gefahren der Spritzen warnte und statt dessen ein verdächtiges Vertrauen in die neuerfundenen Suppositorien setzte. Er eckte überall an: Sein Erneuerungsdrang, sein staatsbürgerlicher Übereifer, sein bedächtiger Sinn für Humor in einem Land unausrottbarer Witzbolde, all das, was ihn in Wahrheit so schätzenswert machte, trug ihm das Mißtrauen seiner älteren Kollegen und den verdeckten Spott der jungen ein.
Der gefährliche sanitäre Zustand der Stadt war seine Obsession. Er appellierte an die obersten Instanzen, man müsse die spanische Kloaken, eine wahre Zuchtstätte für Ratten, zuschütten und statt dessen geschlossene Abflußrinnen anlegen, deren Abwässer nicht wie seit jeher am Hafendamm des Marktes münden dürften, sondern in irgendeiner entlegenen Grube. Die gut ausgestatteten Kolonialhäuser hatten Toiletten mit Sickergruben, doch zwei Drittel der Bevölkerung, die sich am Rand der Sümpfe in Baracken drängte, verrichteten ihre Notdurft im Freien. Der Kot trocknete in der Sonne, verwandelte sich zu Staub, und alle atmeten ihn im Jubel des Advents mit den frischen und glückbringenden Dezemberwinden ein. Doktor Juvenal Urbino versuchte bei der Bürgervertretung im Cabildo für die Armen einen Pflichtkurs im Latrinenbau einzurichten. Er kämpfte vergeblich dafür, daß der Müll nicht in die Mangrovenwälder geschüttet wurde, die seit Jahrhunderten schon Reservoire der Fäulnis waren, sondern statt dessen mindestens zweimal in der Woche abgefahren und in einer unbewohnten Gegend verbrannt wurde.
Stets bewußt war ihm die tödliche Gefahr, die im Trinkwasser lauerte. Der Gedanke, eine Wasserleitung zu legen, war illusorisch, denn diejenigen, die ein solches Projekt hätten vorantreiben können, verfügten über unterirdische Zisternen, wo unter einer dicken Haut von Entengrütze das Regenwasser mehrerer Jahre gespeichert wurde. Eines der wichtigsten Möbel der Zeit waren die Kannengestelle aus geschnitztem Holz, aus deren Steinfilter Tag und Nacht das Wasser in einen Krug tropfte. Um zu verhindern, daß jemand aus der Aluminiumkanne trank, mit der das Wasser geschöpft wurde, waren deren Ränder gezackt wie die Krone eines Narrenkönigs. Das Wasser war durchsichtig und kühl im Dämmer des gebrannten Tons und schmeckte nach Wald. Doch Doktor Urbino ließ sich nicht von dieser angeblichen Reinheit täuschen, wußte er doch, daß auf dem Grund der irdenen Krüge ein Paradies für Faulwassertierchen war. In seiner Kindheit hatte er lange Stunden damit verbracht, sie mit geradezu mystischem Staunen zu beobachten. Wie so viele Menschen damals war er davon überzeugt gewesen, daß diese gusarapos, wie man sie nannte, die animes waren, übernatürliche Wesen, die vom Grund des stehenden Wassers aus um die Jungfrauen warben und zu rasender Liebesrache fähig waren. Als Kind hatte er die Zerstörungen im Haus von Lazara Conde gesehen, einer Lehrerin, die es gewagt hatte, die animes abzuweisen, er hatte die Glasscherben auf der Straße gesehen und die vielen Steine, die sie ihr drei Tage und drei Nächte lang in die Fenster geworfen hatten. Viel Zeit war vergangen, bis er erfuhr, daß die gusarapos in Wirklichkeit Mückenlarven waren, doch er prägte es sich ein für allemal ein, weil er bei dieser Gelegenheit begriffen hatte, daß dann auch viele andere schädliche
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