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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Ecke sitzen. Es war nicht leicht auszumachen, wer gehemmter war, der Arzt in seiner taktvollen Zurückhaltung oder die jungfräulich scheue Kranke in ihrem seidenen Nachthemd. Keiner von beiden sah dem anderen in die Augen, er fragte mit unpersönlicher Stimme, sie antwortete mit bebender Stimme, und beide waren sich dabei ständig der Anwesenheit des Mannes im Halbschatten bewußt. Abschließend bat Doktor Juvenal Urbino die Kranke, sich aufzusetzen. Er öffnete ihr mit ausgesuchter Behutsamkeit das Nachthemd bis zur Taille. Einen Augenblick lang leuchtete die stolze und unberührte Brust mit den kindlichen Brustspitzen wie ein Feuerblitz im Dämmerlicht des Zimmers auf, dann verbarg das Mädchen sie hastig hinter den verschränkten Armen. Unbeirrt und ohne sie anzusehen, schob der Arzt die Arme beiseite und nahm, das Ohr an ihrer Haut, eine direkte Auskultation vor, erst an der Brust, dann am Rücken.
    Doktor Juvenal Urbino erzählte später gern, daß er keinerlei Gefühlsregung verspürt habe, als er die Frau kennenlernte, mit der er bis zum Tag seines Todes zusammen leben sollte. Er erinnerte sich an das spitzenbesetzte hellblaue Nachthemd, an die fiebrigen Augen, an das lange offene Haar auf den Schultern, doch damals war er so besorgt über den Ausbruch der Pest im Altstadtbereich gewesen, daß er nicht auf all das achtete, was sie als blühendes Mädchen auszeichnete, sondern nur auf das wenige, was sie als Pestkranke hätte ausweisen können. Sie äußerte sich deutlicher: Der junge Arzt, von dem sie im Zusammenhang mit der Cholera so viel gehört hatte, habe damals wie ein Pedant auf sie gewirkt, unfähig, jemanden außer sich selbst zu lieben. Die Diagnose lautete: ernährungsbedingte Darminfektion; sie war nach einer dreitägigen Kur mit Hausmitteln überwunden. Erleichtert ließ Lorenzo Daza sich bestätigen, daß seine Tochter nicht die Cholera hatte. Er begleitete Doktor Juvenal Urbino bis zum Wagenschlag der Kutsche, zahlte ihm den Goldpeso für den Hausbesuch, was ihm selbst bei einem Reicheleutearzt übertrieben hoch schien, verabschiedete ihn aber dennoch mit uneingeschränkten Dankbarkeitsbezeugungen. Er war geblendet vom Glanz seiner Namen, verhehlte das auch nicht, sondern hätte sogar alles getan, um ihn noch einmal unter weniger förmlichen Umständen zu sehen. Der Fall hätte für abgeschlossen gelten können. Am Dienstag der folgenden Woche suchte Doktor Juvenal Urbino jedoch ungerufen und ohne irgendeine Anmeldung das Haus zur unpassenden Zeit um drei Uhr nachmittags wieder auf. Fermina Daza saß mit zwei Freundinnen im Nähzimmer und hatte Unterricht in Ölmalerei, als er im Fenster auftauchte, untadelig im weißen Arztrock, mit einem ebenfalls weißen hohen Hut, und ihr bedeutete, näher zu kommen. Sie legte den Rahmen mit der Leinwand auf den Stuhl und ging auf Zehenspitzen zum Fenster, den Volantrock bis über die Knöchel angehoben, um ihn nicht über den Boden schleifen zu lassen. Sie trug einen Stirnreif, von dem ein leuchtender Stein in der unbestimmten Farbe ihrer Augen auf die Stirn herabhing. Alles an ihr atmete Frische. Dem Arzt fiel auf, daß sie sich, um zu Hause zu malen, wie zu einem Fest angezogen hatte. Durchs Fenster fühlte er ihr den Puls, ließ sie die Zunge herausstrecken, untersuchte ihren Hals mit einem Aluminiumspatel, zog ihr prüfend das untere Augenlid herunter und machte jedesmal eine zustimmende Geste. Er war weniger gehemmt als bei dem vorangegangenen Besuch, sie dafür um so mehr, da sie keinen Grund für diese unvorhergesehene Untersuchung sah, hatte er doch selbst gesagt, er brauche nicht noch einmal zu kommen, es sei denn, man rufe ihn wegen einer neuen Entwicklung. Mehr noch: Sie wollte ihn niemals wiedersehen. Als der Arzt die Untersuchung beendet hatte, verwahrte er den Spatel in seinem mit Instrumenten und Medizinfläschchen vollgestopften Arztkoffer und schloß diesen mit einem kurzen Schlag. »Sie gleichen einer frischerblühten Rose«, sagte er. »Danke.«
    »Gott sei Dank«, sagte er und zitierte falsch den heiligen Thomas: »Denken Sie daran, alles Gute, woher es auch kommt, hat seinen Ursprung im Heiligen Geist. Lieben Sie Musik?«
    Er fragte es beiläufig, mit einem bezaubernden Lächeln, auf das sie aber nicht einging.
    »Warum fragen Sie?« fragte sie ihrerseits. »Musik ist wichtig für die Gesundheit«, sagte er. Er glaubte es wirklich, und sie sollte sehr bald und für den Rest ihres Lebens lernen, daß das Thema Musik für ihn fast so

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