Die Liebe in den Zeiten der Cholera
etwas wie eine magische Formel war, mit der er seine Freundschaft anbot, in jenem Augenblick aber verstand sie es als Spott. Außerdem hatten die beiden Freundinnen, die während der Unterhaltung am Fenster so getan hatten, als ob sie malten, jetzt wie zwei kleine Ratten gelacht, die Gesichter hinter den Rahmen versteckt, was Fermina Daza endgültig erboste. Blind vor Zorn knallte sie das Fenster zu. Der Arzt stand perplex vor den Spitzengardinen, wollte zum Ausgang, irrte sich aber in der Richtung und stieß in seiner Verwirrung gegen den Käfig mit den duftenden Raben. Diese krächzten schrill, flatterten erschreckt auf und tauchten seine Kleidung in ihren Frauenduft. Die Donnerstimme von Lorenzo Daza ließ den Arzt in der Bewegung erstarren. »Doktor, warten Sie!«
Er hatte vom oberen Stockwerk aus alles verfolgt und eilte nun, sich das Hemd zuknöpfend, die Treppen hinunter, aufgedunsen und rot und mit von einem schlechten Siestatraum noch gesträubten Koteletten. Der Arzt versuchte die Peinlichkeit zu überspielen. »Ich habe Ihrer Tochter gesagt, daß sie gesund wie eine Rose ist.«
»So ist es«, sagte Lorenzo Daza, »aber sie hat zu viele Dornen.«
Er ging, ohne ihn zu begrüßen, an Doktor Urbino vorbei, stieß die beiden Fensterflügel des Nähzimmers auf und brüllte die Tochter unbeherrscht an. »Du entschuldigst dich beim Doktor!« Der Arzt versuchte zu vermitteln, doch Lorenzo Daza achtete nicht auf ihn. Er insistierte: »Los, beeil dich!« Sie schaute um Verständnis flehend zu ihren Freundinnen und entgegnete dem Vater, sie brauche sich für nichts zu entschuldigen, denn sie habe das Fenster nur geschlossen, damit nicht noch mehr Sonne hereinkäme. Doktor Urbino wollte es mit ihrer Erklärung gut sein lassen, doch Lorenzo Daza beharrte auf seinem Befehl. Daraufhin kam Fermina Daza bleich vor Wut zum Fenster, schob den rechten Fuß vor, während sie den Rock mit den Fingerspitzen anhob, und machte einen theatralischen Knicks vor dem Arzt.
»Ich bitte Sie ergebenst um Entschuldigung, mein Herr«, sagte sie.
Doktor Juvenal Urbino ahmte sie gutlaunig nach und schwenkte wie ein Musketier seinen Hut vor ihr, wurde jedoch nicht mit dem erwarteten Lächeln belohnt. Lorenzo Daza lud ihn dann in sein Arbeitszimmer zu einem Versöhnungskaffee ein, und Juvenal Urbino nahm bereitwillig an, um keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, daß in seinem Herzen auch nicht die Spur eines Grolls zurückgeblieben war.
Eigentlich trank Doktor Juvenal Urbino, außer der einen Tasse beim Frühstück, keinen Kaffee. Er trank auch keinen Alkohol, außer einem Glas Wein zum Essen bei feierlichen Gelegenheiten. Jetzt trank er jedoch nicht nur den Kaffee, den Lorenzo Daza ihm anbot, sondern nahm auch ein Gläschen Anisschnaps an. Er trank dann noch einen Kaffee und noch ein Gläschen und noch einen und noch eines, obwohl er noch Hausbesuche zu machen hatte. Am Anfang hörte er sich aufmerksam die Entschuldigungen an, die Lorenzo Daza im Namen seiner Tochter vorbrachte, eines, wie er sagte, ernsthaften und intelligenten Mädchens, das eines Prinzen von hier oder anderswo würdig sei, aber eben den einen Fehler habe, störrisch wie ein Maultier zu sein. Nach dem zweiten Gläschen meinte Juvenal Urbino dann aber Fermina Dazas Stimme hinten im Patio zu hören, und in der Vorstellung folgte er ihr, ging ihr nach durch die ins Haus hereingebrochene Nacht, während sie die Lichter im Gang anzündete, in den Schlafzimmern mit einer Pumpe Insektengift zerstäubte, den Deckel von dem Topf hob. in dem die Suppe brodelte, die sie an diesem Abend zusammen mit ihrem Vater essen würde, er und sie allein am Tisch, ohne den Blick zu heben, ohne zu schlürfen, damit nichts den Bann des Grolls breche, bis er nachgeben und sie wegen seiner nachmittäglichen Strenge um Verzeihung bitten müßte. Doktor Urbino kannte die Frauen gut genug, um zu wissen, daß Fermina Daza nicht beim Arbeitszimmer vorbeikommen würde, solange er noch da war, dennoch zögerte er seinen Aufbruch hinaus, weil er spürte, daß ihn der verletzte Stolz nach dem Affront dieses Nachmittags nicht würde in Frieden leben lassen. Lorenzo Daza, schon fast betrunken, schien die mangelnde Aufmerksamkeit des Arztes nicht zu bemerken, denn er hatte mit seinem wilden Redefluß an sich selbst genug. Er sprach in gestrecktem Galopp, kaute am Stummel der ausgegangenen Zigarre, hustete schreiend, räusperte sich, rückte sich schwerfällig im Drehsessel zurecht, dessen Federn wie ein
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