Die Liebe in Grenzen
läuft bei euch « , sagte ich in bester Absicht.
Suse beeindruckten meine Worte wenig bis gar nicht. Sie schüttelte den Kopf und schlurfte davon. Auf dem Absatz zur Treppe, die ins Obergeschoss führte, blieb sie stehen und blaffte mich über die Schulter hinweg an: » Schicht nennst du das? Die Erzieher sind also schon beim Fabrikvokabular angekommen, das ist ja ermutigend. Ich hab âne Schraube locker, und du drehst sie in deiner Schicht wieder rein, da kann ich mich aber freuen. «
» Das ist Schwachsinn. «
Unreflektiert, unnötig heftig, zu laut, dachte ich und stellte mir die sorgfältig alle Fehler protokollierende Gestalt meiner ehemaligen Mentorin vor.
Suse zuckte kurz zusammen, warf dann aber mit einer heftigen Bewegung des Kopfs ihre Haare nach hinten und schob das Kinn trotzig vor. Alles Trübe in ihrem Blick war schlagartig einer schneidenden Schärfe gewichen.
» Du wagst es, mich schwachsinnig zu nennen? «
Sieben Uhr morgens war entschieden zu früh, um die erlernten Deeskalationstechniken auch nur in Erwägung zu ziehen, also schoss ich zurück: » Schwachsinn nenne ich nur das, was du gerade von dir gegeben hast. Ich kann mir so einen Mist am frühen Morgen nicht anhören! Schönen Tag noch! «
Suse schnellte herum und stürmte die Treppe hinauf. Oben knallte eine Tür, jemand schrie: » Ruhe, verdammt! «
Was für ein Auftakt!
Aus meiner Hosentasche kramte ich einen Gummiring, band mir mein Haargewirr im Nacken zusammen, das zu bürsten ich in der Eile des frühmorgendlichen Aufbruchs vergessen hatte. In den nächsten Stunden, das nahm ich mir wenigstens vor, wollte ich ruhig und besonnen bleiben und vor allem nichts persönlich nehmen, was immer passieren mochte.
» Es besteht auch beim geschulten Fachpersonal die stete Gefahr, dass die Rationalität zugunsten der Emotionalität verloren geht « , hatte mein Lehrbuch aus dem ersten Semester mich wissen lassen. » Daher ist es unter allen Umständen geboten, an seine eigene Rationalität zu appellieren, um eine unnötige Emotionalisierung der jeweiligen Situation zu vermeiden. « Die Prüfung darüber hatte ich ein halbes Jahr zuvor erfolgreich abgelegt. An diesem Morgen aber wäre ich mit Getöse durchgefallen.
Energisch griff ich nach der Klinke. Die Küchentür ging viel leichter auf, als ich anhand ihres massiven Aussehens vermutet hatte, sodass ich förmlich in den Raum hineinfiel. Eine stattliche Mittfünfzigerin in weiÃer Arbeitsschürze und mit Kopftuch hantierte mit einem Kaffeefilter von der GröÃe eines Ochsenkopfs herum. Dampf zischte aus einem Kessel, der auf der Kochstelle stand, und tauchte die Frau in wabernde Nebel. Im Radio verkündete ein Sprecher Sonnenschein und frühlingshafte Temperaturen bis zu vierzehn Grad.
» Frühstück gibtâs, wenn ich es sage! « Die Köchin warf einen kurzen Blick über die Schulter, fuhr dann ganz zu mir herum und sagte: » Du lieber Himmel! «
» Was denn? «
Sie deutete auf ihr Kopftuch, dann auf mich: » Du siehst aus wie die groÃe Schwester vom kleinen Wassermann. «
» Ach so das ⦠«
Sie fiel mir ins Wort: » Macht ja nix. Meine Kinder haben den kleinen Wassermann sehr gemocht. Neu hier? «
» Ja, mein erster Tag heute. «
» Bulimie? «
» Was? Ãh ⦠nein ⦠ich ⦠«
» Nicht schlimm. Hier wirst du essen und normal sein oder wieder zurück in die Klinik gehen, so einfach ist das. «
» Ich komme nicht aus der Klinik, ich arbeite hier. «
Sie sah mich über den Rand ihrer vom Dampf beschlagenen Brille an, aus dem Radio dudelte jetzt die Titelmusik von Titanic.
» Kein Witz? «
» Vielleicht wirdâs ein Witz, aber fürs Erste habe ich einen ernst gemeinten Arbeitsvertrag unterschrieben « , entgegnete ich, vielleicht eine Spur trotziger, als es ihrem Alter angemessen war.
Sie drehte sich wieder zum Kessel, wuchtete den Riesenfilter auf einen verbeulten, sich nach oben hin verjüngenden Thermobehälter mit Ablasshahn, der auf einem Servierwagen neben der Kochstelle stand. AuÃerdem waren an die zehn Warmhaltekannen bereitgestellt, aus denen es ebenfalls dampfte.
» Helga Schäfer mein Name. «
» Du bist sicher die Köchin. «
» Ich könnte deine Mutter sein, also duz mich nicht einfach. «
Während sie redete, griff sie nach
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