Die Liebe in Grenzen
eine Wohnung.
Ich sitze in Manus Küche, die sich langsam wieder erwärmt, während Carmen am anderen Ende der Leitung darauf wartet, dass ich mit ihr bespreche, was ich mit dem abgebrochenen Anerkennungsjahr anfangen könnte.
» Katia, bist du noch dran? «
» Können wir später reden? Morgen oder so? Ich habe noch etwas vor. «
Und tatsächlich habe ich etwas Wichtiges vor. Ich muss einen alten Türklopfer betrachten, muss versuchen zu sehen, was er mich sehen lassen will. Ich erinnere mich an das Foto eines kleinen Natursteinhauses an der bretonischen Küste, für dessen Tür sich die Hand hervorragend eignen würde.
Konrad wuchs in der vermeintlichen Geborgenheit eines groÃen Hauses auf, jedenfalls solange man ihn noch nicht als » sich und andere gefährdend « eingestuft hatte. Nach auÃen hin sah alles stilvoll und gediegen aus. Der Friede wurde in seinen Grundfesten einzig erschüttert von diesem Sohn, der aus scheinbar heiterem Himmel begann, das schöne Zuhause zu beschädigen, chinesische Vasen zu zertrümmern, mit dem Messer Kerben in die Tropenhölzer zu schlagen, die Mülltonnen anzuzünden. In dieser hypothekenfreien, mit festverzinstem Barvermögen abgepolsterten Sicherheit war Konrad der Störfaktor, der Dämon, gegen den kein magischer Türklopfer am Eingang etwas ausrichten konnte, weil er ja bereits drinnen war.
Jetzt ist er ein Wanderer, ein allein reisender, heimatloser Mann, der mir etwas schenkt, womit man anklopfen kann, anklopfen könnte, wenn man wüsste, wo.
Sieh hin, Liebste, mach einfach deine Augen auf!
Vor dem Fenster zischen die ersten Silvesterraketen vorbei, ein bunter Lichtregen spiegelt sich in den Scheiben von Manus altem Küchenschrank, drauÃen grölt jemand. Morgen wird keine Post ausgetragen, wahrscheinlich nicht einmal befördert. Ich sollte mir Gedanken darüber machen, warum mir das wie ein Segen vorkommt. Als würde ich dadurch Zeit gewinnen für ⦠Für was eigentlich?
Eine Salve ohrenbetäubender Explosionen schneidet mir den Gedanken ab. Ich reiÃe das Fenster zum Innenhof auf. Unten stehen vier Erwachsene und zwei Kinder neben dem hölzernen Mülltonnenhäuschen und hantieren mit Feuerwerkskörpern. Ein weiterer Knall, und ein Feuerschweif zischt knapp an meinem Gesicht vorbei.
» Seid ihr bescheuert? Geht an die Alster, wenn ihr was anzünden müsst! «
Alle schauen sich suchend um, bis eines der Kinder zu mir hinaufzeigt und sämtliche Köpfe sich mir zuwenden. Einer kommt mir bekannt vor. Es ist der Typ aus dem ersten Stock, der immer ein Gespräch mit mir anfangen will, wenn er mich im Treppenhaus trifft.
» Ach, du bist das « , sagt er jetzt. » Wir wollten dich nicht stören. Es ist wegen Maja und Lisa, die müssen gleich ins Bett und wollten vorher noch ihre Raketen steigen lassen. «
» Muss das denn hier im Hinterhof sein, direkt neben dem Holzverschlag? «
Der Nachbar hebt entschuldigend die Hand, ehe er seine Kinder in Richtung Ausgang scheucht. Das gröÃere Mädchen mit roter Wollmütze schlüpft unter seinen Armen hindurch, flitzt noch einmal in den Hof, stemmt die Arme in die Hüften und streckt mir die Zunge heraus. Unweigerlich erwidere ich die Grimasse. Wir winken uns zu, bis die Göre von ihrem Vater aus dem Hof getragen wird.
Ich in der Kindererziehung, das würde nicht nur an mir selbst, sondern erst recht und immer wieder an den Eltern scheitern.
Wie es Mischa wohl geht heute Nacht?, überlege ich weiter. Feuerwerk jagt ihm eine irrsinnige Angst ein. Ob Carmen ihm hinter Martins Rücken etwas zur Beruhigung verabreicht wie letzten Sommer, als Konrad den Hund allein in seiner Wohnung eingesperrt hatte und Mischa von dem nicht enden wollenden Bellen und Jaulen völlig panisch geworden war? » Jemand muss retten! Jemand muss retten! « , hatte er gebrüllt, immer lauter, immer schriller, bis er versucht hatte, das Jaulen auszuschalten, indem er mit dem Kopf gegen die Wand zu Konrads Wohnung schlug. Carmen hatte ihn daraufhin gepackt und mithilfe von Suse ins Büro gezerrt, wo sie erst vergeblich versuchte, Martin oder Lena in der Gärtnerei, dann Hajo in der Klinik zu erreichen, schlieÃlich den Hörer auf die Tischplatte knallte und zum Medikamentenschrank ging, um Verbandszeug und Diazepam zu holen.
Krach in Verbindung mit Feuer lässt Mischa binnen Sekunden
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