Die Liebe in Grenzen

austicken. Aber in der Mühle gibt es heute Nacht bestimmt kein Feuerwerk. Allein wegen der Tiere wird Lena dafür gesorgt haben, dass alles ruhig bleiben wird. Obwohl ich fast drei Jahre in Lennau gelebt habe, bin ich nie zum Jahreswechsel dort gewesen, jedes Mal war ich entweder bei Manu in Hamburg oder bei meinem Vater in Berlin gewesen. Eigentlich liegt das Heimgelände weit genug außerhalb der Ortschaft, sodass der Lärm nicht bis zur Mühle durchdringen dürfte; außerdem ist es durch den Wald geschützt. Aber es kann natürlich sein, dass Idioten aus dem Dorf auf ihren Mofas zur Mühle fahren, um » die Psychos « unter Feuer zu nehmen. Seit Helmut und Manfred drei von diesen Typen beim letzten Schützenfest verdroschen haben, ist noch eine Rechnung offen. Die Dorfjungen hatten Ada mit ihren Mofas umkreist, immer enger und enger, dabei » Fette Sau, lass dich ficken! « gebrüllt, bis Helmut und Manfred wie die Berserker in den Kreis einbrachen und den Sanitätern einiges an Arbeit bescherten. Carmens launiger Kommentar, nachdem sie von einer längeren Verhandlung auf dem örtlichen Polizeirevier zurückkehrte: » Wehe, wenn sie losgelassen! «
    Lena schimpfte: » Bist du etwa auch noch stolz auf dieses Desaster? «
    Â» Natürlich bin ich das! Unsere Jungs waren Superhelden! «
    Martin hatte bloß den Kopf geschüttelt und dann traurig genickt, als Lena prophezeite, dass die Dorfjugend sich dafür rächen werde.
    Â» Ach was « , Carmens Hand fegte durch die Luft, » die werden sich künftig zweimal überlegen, ob sie jemanden von uns angreifen. «
    Martin und Lena sahen nicht überzeugt aus, aber ich ließ mich von Carmens Begeisterung anstecken und beteiligte mich mit einer großzügigen Kartoffelchips-Spende am » Heldenfest « , das sie noch am selben Abend organisierte. Konrad kam, von der Musik angelockt, aus seinem Apartment herüber und sagte, nachdem er den Grund für die Feier erfahren hatte: » Es ist zu hoffen, dass die Typen nicht irgendwann Mischa in die Finger bekommen. «
    Wie gern wäre ich heute Nacht in der Mühle, um Mischa zu beschützen. Das wird nun jemand anders tun müssen. Es spielt keine Rolle mehr, ob ich noch dort bin, aber sie fehlen mir alle. Diese Möglichkeit hatte ich unterschätzt.
    Dass ausgerechnet Carmen mir jetzt eine Chance eröffnet, das Anerkennungsjahr doch noch zu beenden, ist unbegreiflich. Mit einer nachträglich ausgestellten Urlaubsbewilligung und einer Krankschreibung, die man Hajo aus den Rippen leiern könnte, wäre das durchaus machbar, sagte sie bei unserem zweiten Telefonat. » Katia, verbau dir nicht deine Zukunft wegen eines Ausrutschers. «
    Â» Die Geschichte mit Konrad war kein Ausrutscher ! «
    Â» Das habe ich auch nicht gemeint. «
    Es folgte ein langes Schweigen.
    Ich habe Carmens Großzügigkeit nicht verdient, und sie hat es nicht verdient, wegen mir weitere Unannehmlichkeiten zu bekommen.
    Als Mischa wegen des jaulenden Hundes seinen Kopf gegen die Wand schlug, während ich tatenlos daneben stand, schrie Suse: » Wo ist eigentlich der eingebildete Affe? Wo ist Konrad, wenn man ihn mal wirklich braucht? «
    Gerade in dem Moment tauchte Carmen auf, legte ihre Arme um Mischa, sah sich um, traf meinen Blick und sagte: » Katia, du weißt, wo er sich aufhält. Hol ihn! «
    Die Art und Weise, wie sie mich über ihren Brillenrand ansah und gleichzeitig versuchte, mit Suse den blutenden Jungen durch die Tür zum Erzieherbüro zu schieben, war eindeutig. Sie weiß es, schoss mir durch den Kopf.
    Sie wusste es schon eine ganze Weile, wie sich später herausstellte. Aber sie hatte geschwiegen, hatte weder Martin noch Hajo noch sonst jemandem etwas über Konrad und mich erzählt. Sie hätte alles auffliegen lassen können. Anscheinend hatte sie das aber nicht gewollt.
    Als Konrad dann endlich vom Aktzeichnen in Alsfeld zurückgekommen war, hatte er augenblicklich dem Jaulen des Hundes ein Ende gesetzt und wenig später auch Mischas Angst davor.
    Armer Mischa. Nicht ich, Konrad wird ihm fehlen in dieser Silvesternacht. Konrad mit seiner fast schon magischen Fähigkeit, Mischas Panikzustände zu durchbrechen, ihn zu beruhigen, Konrad, dessen Akte nicht nur nach Carmens und Martins Überzeugung – trotz aller Merkwürdigkeiten – in der falschen Abteilung des Büroschranks