Die Liebe ist eine Insel
sich wütende Festivalbesucher, die Flyer einer Theatergruppe anzunehmen, die spielt. Sie halten Schilder hoch, nennen sich »Zuschau-Spieler«.
Dennoch schleicht sich Routine ein. Das Herz ist nicht mehr dabei. Theatergruppen schmeißen hin, verlassen die Stadt über die Hauptstraße. Ein Exodus. Marie macht Fotos, fängt die Parolen mit der Kamera ein. Hört zu. Die Kultur muss auf sich aufmerksam machen, muss zu etwas Lebendigem werden, in dem sich alles vermischt, sich widerspricht.
Sie verirrt sich in der Stadt.
Zu viele Menschen, zu viel Haut. Die Gesichter glänzen, schwitzen. Die Körper, denen sie begegnet, sondern starke Gerüche ab. Alles vermischt sich, die Tränen, der Schweiß. Ein Mann sitzt in gestreiften Shorts da. Eine Frau mit roten Wangen schlurft ihres Wegs, eine Tasche in der Hand.
Marie will nicht, dass man sie berührt. Sie geht dicht an den Wänden entlang, sucht den Schatten.
Von dort macht sie Fotos, die die Erschöpftheit der Körper einfangen.
Sie fotografiert auch den Abfall, der auf den Bürgersteigen der Stadt zurückbleibt.
R ue des Teinturiers. Das Viertel der Räder. Blumen an den Fenstern, Fensterläden aus Holz, Steinbänke.
Ein rotes Hemd hängt hinter einem geschlossenen Fenster auf einem Bügel. Leinenschuhe trocknen auf einem Balkon.
Die Platanen hier haben kurze Stämme.
Die Salle Benoît XII .
Die Chapelle des Pénitents Gris.
Julie und die Jungs sitzen auf dem Rand des Bürgersteigs und essen Pizza. Sie haben stundenlang Flyer verteilt. Julie hat immer noch welche. Greg schimpft über das Dreckszeug, mit dem die Pizzen belegt werden.
»Kampfstiere! Wisst ihr, wie diese Tiere sterben?«
Damien stützt sich auf die Brüstung und betrachtet das brackige Rinnsal der Sorgue.
Julie stellt sich neben ihn.
»Wie geht’s dir?«
»Geht so …«
Sie haben sich wieder einmal gestritten. Sie will mit ihm reden, ein Gespräch beenden, das am Abend zuvor begonnen hat. Der Ton ist distanziert. Julie ist verkrampft. Jeder geht seines Wegs.
A bends strömen die Leute ins Chien-Fou. Odon schließt die Türen ab. Unnötig, die Streikenden sind anderswo.
Die Vorstellung beginnt.
Die Jogar ist da, diskret, sie hat einen Platz hinten im Saal gewählt. Sie will Odons Arbeit sehen. Sie weiß auch, dass seine Tochter spielt.
Zwei Zuschauer lassen ihren Sitz knallen.
Am Ende nimmt Julie die Hände der Jungs.
»Das war ein Stück von Paul Selliès!«
Sagt sie.
Der ganze Saal applaudiert.
Marie zittert vor Glück.
Die Jogar verlässt unbemerkt das Theater.
Die Jungs gehen unter die Dusche.
Julie sammelt die Digitalis ein. Sie legt sie in eine Zeitung, faltet diese zusammen und wirft sie in den Mülleimer.
»Warum hast du das gesagt?«, fragt Odon, als er zu ihr in die Garderobe kommt.
»Was?«
»Dass es ein Stück von Selliès war.«
Sie zuckt die Achseln. Sie weiß es nicht.
»Es war ein spontaner Einfall«, sagt sie.
Marie kommt. Sie hat Fotos von der Vorstellung gemacht und zeigt sie ihnen auf dem Bildschirm ihres Apparats.
Odon beugt sich vor. Die Jungs. Sogar Jeff. Die Platzanweiserin kommt mit einem Rosenstrauß für Julie.
Die Rosen sind gelb, frisch. Ein Umschlag steckt zwischen den Blättern. Es ist das erste Mal, dass Julie Blumen bekommt. Sie öffnet den Umschlag. Ihr Gesicht verfinstert sich. Sie lässt den Strauß auf dem Tisch liegen.
Sie deutet mit dem Finger auf Maries grünes Polohemd.
»Das solltest du nicht anziehen!«
Niemand begreift.
»Ich weiß …«, stammelt Marie.
»Wenn du es weißt, warum trägst du es dann?«
»Ich weiß es erst seit kurzem …«
Julie zuckt die Achseln. Mit dem Kinn deutet sie auf den Strauß und sagt zu ihrem Vater:
»Wenn du die Blumen willst …«
Die Karte ist zu Boden gefallen. Odon bückt sich und hebt sie auf.
Er dreht sie um. Ein paar Worte, geschrieben mit blauer Tinte: Du warst sehr bewegend, sehr schön, danke! Es folgt die hohe, breite Unterschrift der Jogar.
O don hat Mathilde nicht im Saal gesehen, doch die Platzanweiserin hat gesagt, sie sei da gewesen und habe den Strauß an der Kasse abgegeben.
Er hat sie auf dem Platz gesucht.
Dann kehrt er auf seinen Kahn zurück.
Ihm ist nicht nach Schlafen. Er bleibt an Deck, denkt an sie.
Er steigt in den Frachtraum hinunter. Fünf Stufen. Die sechste ist kaputt. Jeff hätte sie schon längst reparieren sollen.
Der Frachtraum ist seine Höhle. Zwei Sessel. Bücher.
Er legt eine Platte auf, entfernt die Staubkugel am Saphir, es knackt in den
Weitere Kostenlose Bücher