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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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zurückgeben, er würde froh sein, es wiederzubekommen. Am Abend zuvor hatte er ihr von dieser so schönen Geschichte und dem Schicksal des Autors, der schrieb und dann starb, erzählt. Er war verwirrt, unsicher. Er hatte einen Text, aber keinen Autor. Selliès’ Mutter scherte sich einen Dreck darum, und er hatte beschlossen, es ihr zurückzuschicken. Wozu?
    Mathilde nahm das Manuskript ins blaue Zimmer mit.
    Sie hatte es noch nicht gelesen.
    Es war ein ganz gewöhnlicher brauner Umschlag.
    Sie legte ihn auf den Tisch.
    »Bist du mir böse?«, fragt sie.
    Er antwortet nicht.
    Er steht auf, legt die Hand auf ihren Nacken, eine sanfte Liebkosung.
    »Ich werde etwas für dich machen.«
    Er verschwindet im Kahn.
    Sie steigt zu ihm hinunter. Er hat Feigen aus einer Schale genommen und halbiert sie mit einem scharfen Messer.
    Sie setzt sich an den Tisch. Er hat die langsamen Bewegungen von Menschen, die auf Schiffen leben.
    Er lässt Butter in einer Pfanne schmelzen und legt die Früchte in das heiße Fett. In einer anderen Pfanne erwärmt er Honig und Zitrone, darauf die Feigen. Ein paar Minuten genügen.
    Zwei Kugeln Vanilleeis, eine pro Teller.
    Sie kehren an Deck zurück. Essen schweigend. Die Feigen sind lauwarm, das Eis ist sehr kalt. Als sie fertig sind, bleiben auf dem Tisch zwei leere Teller und zwei Löffel.
    Die Jogar stellt sich an die Reling und betrachtet den Fluss, die Stadt gegenüber und die Lichter.
    Odon hat sie gelehrt, die Sterne zu erkennen, ihre genaue Position in der Sommernacht über dem Kahn.
    Sie deutet mit dem Finger, benennt sie.
    »Ich kenne deinen Körper, wie ich den Himmel kenne.«
    Sie sagt es sehr leise.
    Er geht nah an ihren Rücken heran und atmet den süßen Geruch ihres Nackens ein.
    »Der Fluss ist nie so schön gewesen wie in jenem Jahr, weil ich mit dir zusammen war.«
    Er spürt ihr Lächeln.
    »Kann ich hier schlafen?«, fragt sie.
    Er legt die Hände auf ihre Schultern und umarmt sie.
    Er schüttelt den Kopf.
    Er löst sich von ihr, stellt den Aschenbecher auf den Tisch, und spielt, die Zigarette zwischen den Lippen, einen alten Song von Bob Dylan.
    Der Tisch stand am Fenster im blauen Zimmer. Eine Lampe mit einem Schirm aus Glas.
    Mathilde erinnert sich. Sie hatte sich gesetzt, Anamorphose aufgeschlagen und den Anfang gelesen.
    Der erste Satz hatte sie in den Text hineingezogen.
    Es war dunkel geworden. Sie hatte die Lampe angemacht.
    Eine brutale Geschichte, das hatte ihr gefallen. Sie hatte die Lektüre am Morgen beendet.
    Sie erinnert sich nicht, warum sie Lust bekommen hatte zu korrigieren. Dieser Gedanke. Wann hat sie das zum ersten Mal gemacht? Einen Bleistift genommen und durchgestrichen? Bei welchem Wort?
    Und zu welchem Zweck?
    Sie weiß, dass sie am ersten Abend nicht korrigierte. Das begann erst am nächsten Tag.
    Der Bleistift lag in der Schublade. Sie nahm ihn heraus. Rollte ihn zwischen den Fingern. Er war fast neu. Das Papier war von schlechter Qualität, der Bleistift war nicht gut zu sehen.
    Sie unterstrich ein erstes Wort und ersetzte es durch ein anderes. Sie machte weiter. Tagelang. Sie fragte sich nicht, ob das, was sie da tat, gut oder schlecht war. Es war eine Art innerer Drang. Sie analysierte den Text, erkannte, was ihm fehlte, und gab es ihm, seine Nuancen, seine Innerlichkeit. Als sie aufblickte, war es dunkel hinter der Scheibe. Sie wusste nicht, warum sie das tat, und ebenso wenig, wohin es sie führte.
    Tagsüber wartete sie auf den Abend, um sich wieder an die Arbeit zu machen. Ihr Leben hatte diesen Sinn bekommen.
    Es kam vor, dass sie sich übergeben musste.
    Sie sah, wie die Tage vergingen, die Stunden verflogen. Sie schlief erschöpft ein, mit dem Gefühl, dass nichts jemals ein Ende finden würde.
    Sie erzählte niemandem davon.
    Eines Tages las sie den Text wieder und wusste, dass sie fertig war.
    Anamorphose war geschrieben.
    So, wie es geschrieben sein musste.
    Sie schloss das Manuskript. Legte die Hände flach darauf. In dem Bewusstsein, dass etwas getan war.
    Und jetzt?
    Sie brauchte Wochen, um Anamorphose zu lernen. Sie las laut, ganze Sätze, die sie wiederholte und mit den anderen verband.
    Das geschah in ihrem Zimmer oder draußen. Sie rezitierte im Gehen, ein trauriges, düsteres Herunterleiern. Es ging ihr darum, sich die Worte einzuprägen. Der Ton würde später kommen.
    Tagelang sah sie niemanden. Sie achtete nicht mehr auf sich, schminkte sich nicht, trug immer dieselben unförmigen Kleider. Odon rief sie an, er wartete auf

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