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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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sie, sie kam nicht oder zu spät.
    Sie vergaß.
    Eines Abends kam sie auf den Kahn und legte das Manuskript auf den Tisch.
    Sie sagte nichts, hatte nicht mehr die Kraft dazu.
    Sie hatte abgenommen.
    Er sah sie an. Ihr Mund war müde, ihre Arme hingen herab.
    Er nahm das Manuskript. Die erste Seite war weiß. Er las den Titel, Anamorphose .
    Er begriff. Sofort. Er sah wieder den Postkorb vor sich, den braunen Umschlag.
    Dann begann er zu lesen. Sie stand auf der anderen Seite des Schreibtischs, reglos.
    Sie rührte sich nicht.
    Er las weiter.
    Seine Lippen wurden trocken. Er erkannte Selliès’ Worte. Sehr schnell. Er wusste, das war sein Text, aber er war zu etwas anderem geworden.
    Solange er las, blieb Mathilde stehen. Er sagte ihr nicht, sie solle sich setzen. Sie hätte es tun können.
    Die Lektüre dauerte über eine Stunde.
    Die letzte Seite war weiß.
    Er schloss das Manuskript.
    Langsam blickte er zu Mathilde auf. Durch das offenstehende Bullauge drang etwas kühle Luft herein.
    Er sah sie noch immer an.
    Sie hob die Stirn. Sie war blass.
    Und was wirst du jetzt tun?
    Es spielen, sagte sie.
    Er hatte gewusst, dass sie das antworten würde. Dass es keine andere Antwort geben konnte.
    Er zog eine Zigarette aus seinem Päckchen.
    Bevor man daran denken kann zu spielen, muss man lernen.
    Sie legte eine Hand auf den Bauch, die Worte waren da, sie hatten bereits ihren Stoff gewebt. In ihrem Körper und in ihrem Kopf.
    Ich habe gelernt.
    Sie ließ ihm Zeit zu begreifen.
    Du bist verrückt.
    Wieso verrückt?
    Er schüttelte langsam den Kopf.
    Du hattest kein Recht dazu …, das war alles, was er herausbrauchte.
    Sie löste ihre Hände.
    Dieser Text durfte nicht zerstört werden.
    Ihn gelernt zu haben reichte nicht. Die Aufgabe, die ihr noch zu erfüllen blieb, war größer. Sie musste vergessen. Den Weg in umgekehrter Richtung gehen, damit der Text kein Wissen mehr wäre. Erst dann würde sie ihn spielen können.
    Wo den Fuß hinsetzen, wie die Stimme führen? Diesen Weg konnte sie nicht allein gehen.
    Sie brauchte ihn.
    Ich brauche dich, sagte sie.
    Odon brachte es ihr bei. Um sie nicht zu verlieren oder um sie ein wenig länger zu behalten. Ein paar Monate. Eine Woche.
    Sie trafen sich im Theater, abends, allein, wenn alle gegangen waren. Intensive Proben, die Stunden dauerten.
    Sie rezitierte. Wenn sie nicht mehr konnte, zwang er sie weiterzumachen. Wenn sie erschöpft war, gab sie ihr Bestes.
    Es kam vor, dass sie zu erschöpft war, um nach Hause zu gehen, sie gingen dann nach oben und schliefen dort ein paar Stunden. Mathilde wachte auf, machte Kaffee und nahm sich den Text wieder vor. Ihre Stimme brachte sie zur Verzweiflung. Es war Nacht oder Morgen. Er fand sie auf der Bühne.
    Sie liebten sich, um ihre Müdigkeit zu vergessen.
    Um zu vergessen, dass das, was sie da taten, sie auch trennen würde.
    Er war ihr Lehrer und ihr Liebhaber. Anamorphose nahm den Geruch von Schweiß und Sperma an.
    Sie merkte sich alles, was er ihr beibrachte. Sie wusste seine Worte zu deuten, seine Wutanfälle, seine Ratschläge.
    Sie arbeitete allein an ihrer Stimme, wenn er nicht da war.
    Eines Abends kam er ins Theater, sie stand auf der Bühne, der Saal leer, und rezitierte Anamorphose .
    Er kam lautlos herein. Sie hörte ihn nicht kommen.
    Er hörte ihr zu, den Rücken an der Wand.
    Es war schön, voller Kraft. Sie brauchte ihn nicht mehr. Er hatte sie verloren. Diese Erkenntnis war so offensichtlich, dass sie wie ein Messer in ihn eindrang. Sie würde fortgehen.
    Er trat aus dem Schatten und öffnete seine Arme. Um nicht zu jammern, lächelte er. Sie begriff, dass er begriffen hatte, und weinte, an ihn geschmiegt.
    Später änderte sie den Titel Anamorphose . Sie nannte es Ultimes déviances .

M enschenmassen drängen in den Hof des Klosters Saint-Louis. Odon ist da, er unterhält sich mit Julie Brochen und Bruno Tackels. Sie ist Schauspielerin und Regisseurin, er Schriftsteller und Bühnenautor. Alle sind gekommen, um ihren Standpunkt zur Kultur kundzutun. Auch die Einwohner der Stadt, die sich normalerweise im Hintergrund halten, haben den Weg nicht gescheut. Für die freien Theaterleute und Bühnenarbeiter geht es darum, neue Ideen zu entwickeln und die Bewegung voranzubringen. Alles muss überdacht werden, man muss erfinderisch sein, kreativ, den Weg des Theaters wiederfinden, ein neues Festival im nächsten Jahr.
    Marie drängt sich in die Menge. Bahnt sich einen Weg durch die Menschen.
    Auf dem großen Platz weigern

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