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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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rauszugehen. Sie bleibt in der Küche, liest noch einmal Einsteins Rätsel.
    Ihr Bruder sagte, dass immer jedes Wort zähle, dass man sie sorgfältig betrachten und ihnen Zeit geben müsse.
    »Odon hat Luculus für alle versprochen, wenn jemand die Lösung findet …«
    Isabelle ist schlecht in Rätseln. Geschichten sind ihr lieber, aber sie hätte schon Lust, mit ihnen ins Restaurant zu gehen.
    Sie lackiert ihre Fingernägel mit rotem Nagellack.
    »Willy liebte Fotos … Kennst du Willy? Willy Ronis?«
    Marie kennt ihn nicht. Sie hört zu, wie der Pinsel über die Wölbung der Fingernägel gleitet.
    »Welche Fotografen kennst du?«
    Niemanden. Doisneau ein wenig, wegen der Kalender im Caravan.
    »Willy war Professor an der Kunstschule von Avignon«, sagt Isabelle. »Er war wie du, immer mit seinem Fotoapparat in den Straßen unterwegs.«
    Marie schließt das Fläschchen. Im Raum riecht es jetzt nach Azeton und Nagellackentferner.
    »Ich habe drei Fotos von ihm. Ich werde sie niemals verkaufen, dabei werden Willys Arbeiten heute sehr teuer gehandelt.«
    Sie verlässt die Küche und kommt mit einem Buch zurück, das sie vor Marie hinlegt. Bistroszenen, Kinder, das Paris von Belleville und Ménilmontant.
    »Wenn du dich für Fotografie interessierst, musst du Willy unbedingt studieren. Die anderen natürlich auch, aber besonders Willy.«
    Hinten im Buch liegen die drei Originale. Ein alter Mann in einer Straße, ein Kind, das mit Murmeln spielt, und auf dem dritten eine zusammengerollte Katze unter einem Ofen.
    Isabelle deutet auf die Signatur.
    »Diese Fotos gehören mir, sie tragen alle eine Widmung.«
    Ein letztes Foto wird von Seidenpapier geschützt. Isabelle hebt das Deckpapier hoch.
    »Meine Tochter«, sagt sie leise.
    Marie beugt sich vor.
    »Sie ist schön«, sagt sie.
    Isabelle streicht mit der Hand über das Gesicht.
    »Sie ist bei dem Absturz der Japan Airlines zwischen Tokio und Osaka ums Leben gekommen, das Flugzeug prallte gegen einen Berg. Sie war dreißig.«
    Sie legt das Deckblatt wieder auf das Foto und schließt das Buch, drückt es an sich.
    Marie denkt an die Kreuze, die Isabelle nachts auf die Stirnen zeichnet.
    Sie streckt die Hand aus, will Isabelle berühren, ihr Herz schlagen hören. Sie hat schon immer danach gesucht, durch die Haut der anderen, nach dem Pochen des Blutes.
    Früher im Schulhof, man nahm sich in Acht vor ihr. Die Mädchen mieden sie, beschwerten sich bei ihrer Mutter, sie bekam Ärger deswegen. Ihr Bruder erklärte ihr, dass man sich nur den Herzen der Menschen nähern dürfe, die man sehr liebt.
    Als er starb, legte sie die Hand auf seine Brust, da war nur Stille. Sie suchte überall, am Hals, in den Weichteilen des Arms, sie kratzte seinen Bauch.
    Stille, nichts als Stille.

M arie hat neun Fotos ausgewählt und drucken lassen, im Format 24 x 30, schwarzweiß. Sie legt sie auf den Tisch, vor Isabelle, eins nach dem anderen.
    Eine Straße mit Theaterplakaten, alle mit einem schwarzen Kreuz durchgestrichen, das Wort »Interluttants«, gemalt auf Blech, Fotos von Gegenständen, der Platz vor dem Papstpalast mit Streikenden, die auf dem Boden liegen.
    Es sind auch drei Fotos der Aufführung dabei, auf denen man Julie und die Jungs mit dem großen Streifenvorhang und der modernen Stadt im Hintergrund sieht.
    Isabelle betrachtet sie.
    Sie beugt sich vor.
    Marie genießt die Zeit, die sie mit ihr verbringt. Sie liebt ihre Pausen, ihren Geruch nach müder alter Dame.
    Manchmal fragt Isabelle, wo sie ein Foto aufgenommen hat, in welchem Viertel. Sie versucht eine Straße, eine Passage wiederzuerkennen. Sie fragt selten nach dem Warum. Die Antworten darauf sind viel schwieriger.
    Auf dem letzten Foto der Bär und die Porzellanpuppe, die Gitterstäbe des Fensters.
    Isabelle betrachtet es länger als die anderen.
    Dann nimmt sie die Brille ab.
    Sie sieht Marie an, als kenne sie sie schon lange.
    »Deine Fotos erzählen alle intime Details einer größeren Geschichte.«
    Sie steht auf und öffnet das Fenster einen Spalt. Man hört das Geräusch einer Bohrmaschine in einer Wohnung gegenüber.
    Sie dreht sich um.
    »Du solltest sie Odon zeigen. Wenn sie ihm gefallen, erlaubt er dir vielleicht, sie im Eingangsbereich seines Theaters auszustellen.«
    Sie kehrt zu Marie zurück.
    »Und du solltest dich gerade halten, das ist wichtig.«
    Marie richtet sich auf.
    Isabelle lächelt. »So ist es besser.«

J ulie und die Jungs haben sich in der Garderobe versammelt und hören die

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