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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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heraus.
    Sie bohrt ihren Blick in seine Augen.
    Odon verzieht keine Miene.
    »Was wirfst du mir vor? Dass ich es veröffentlicht habe?«
    »Nein.«
    »Also was?«
    »Er war der Autor, Sie hätten es unter seinem Namen veröffentlichen müssen.«
    »Das hätte nicht funktioniert.«
    »Weil ein toter Autor sich nicht verkauft?«
    Er fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Er hat sich nicht rasiert, sein Bart knistert.
    »Genau … Außer, er kann bereits ein Werk vorweisen.«
    Maries Gesicht verschließt sich. Zwei tiefe Falten erscheinen zwischen ihren Augen.
    »Mein Bruder hatte sein Werk noch vor sich.«
    Odon blickt auf seinen Teller. Er hat sich lange schuldig gefühlt. Für alles. Schuldig, Mathilde geliebt zu haben, schuldig, Nathalie verlassen zu haben, schuldig, Julie im Stich gelassen zu haben. Man kann seiner Leidenschaften schuldig sein.
    » Anamorphose hätte ohne Mathilde niemals diesen Erfolg gehabt.«
    Sie versucht zu lachen.
    »Muss ich ihr dafür danken?«
    »Das verlange ich nicht von dir.«
    »Was verlangen Sie dann von mir?«
    Er verlangt nichts von ihr. Er wendet den Kopf ab.
    Es ist kurz nach Mittag, die Messe ist vorbei, der Pfarrer kommt mit seinem Kreuz heraus. Zwei Chorknaben gehen vor ihm her, man fühlt sich an ein Bild von Soutine erinnert.
    Aus der Kirche dringt Orgelmusik.
    Marie beißt in die Haut um ihre Fingernägel. Sie zieht langsam. Judas ist seit mehr als zweitausend Jahren schuldig. Und sie, wessen ist sie schuldig? Sie denkt an das Gesicht auf dem Fresko. Einen Verrat von solchem Ausmaß begeht man nicht zweimal in einem Jahrtausend.
    Der Kellner räumt den Teller, den Brotkorb und die Garnelenreste ab.
    Odon bestellt zwei Desserts.
    Der Pfarrer verabschiedet die letzten Gläubigen, bückt sich und küsst ein Kind. Die Orgel spielt noch immer, man hört sie durch die offenstehenden großen Türen auf dem Platz.
    Der Kellner bringt Erdbeeren. Marie fährt mit dem Finger darüber. Sie sind sanft, glatt, kühl. Sie zerdrückt eine zwischen den Zähnen.
    »Sie ist in der Stadt. Ich bin zum Minotaure gegangen, aber sie haben nicht gespielt.«
    Odon verkrampft sich.
    Er verteilt Zucker auf seinen Erdbeeren. Marie schaut ihm zu.
    »Ich möchte einen Kaffee mit ihr trinken«, sagt sie.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Sie trinkt mit niemandem Kaffee.«
    »Mit Ihnen aber schon?«
    »Mit mir schon.«
    »Sie soll es mir erzählen, mehr will ich nicht, nur, dass sie mir erzählt, wie es damals war.«
    Sie steckt eine Erdbeere in den Mund.
    »Könnten Sie sie überreden?«, fragt sie kauend.
    Odon beugt sich vor, stützt beide Ellbogen auf den Tisch.
    »Du musst endlich damit aufhören, Marie.«
    Sie lächelt.
    Er lehnt sich wieder zurück.
    »Mathilde hat nur getan, was ich ihr erlaubt habe.«
    »Und?«
    »Wenn du also jemandem Schwierigkeiten machen willst, dann mir.«
    Marie steht auf und greift nach ihrem Rucksack.
    »Ich will niemandem Schwierigkeiten machen …«

M arie hat noch immer den Geschmack der Erdbeeren im Mund, als sie zur Bibliothek kommt. Sie setzt sich an einen Tisch ganz hinten in dem großen Lesesaal.
    Es ist ruhig. Ein paar Menschen gehen zwischen den Regalen umher. Eine über ihre Bücher gebeugte Studentin macht sich Notizen auf karierten Blättern. Ein alter Mann döst über einer Enzyklopädie.
    Das Buch, das sie sucht, steht in der Abteilung ›Alte Malerei‹.
    Sie schlägt es auf, blättert. Reproduktionen von Gemälden aus der Renaissance. Am Ende das Inhaltsverzeichnis. Das Bild nimmt eine halbe Seite ein, Die Gesandten von Hans Holbein dem Jüngeren, ein Gemälde aus dem Jahr 1533.
    Sie hat es bereits im Internet gesehen, bei Isabelle.
    Sie beugt sich vor. Auf dem Gemälde stützen sich zwei reiche Männer auf ein Regal. Der eine trägt einen langen Pelzmantel, der andere ist schwarz gekleidet und hält ein Paar Handschuhe in der Hand. Hinter ihnen verschiedene Gegenstände, auf dem Boden ein Teppich. Im Vordergrund liegt ein merkwürdiger Gegenstand, eine weiße lange Form, die an einen Schulp erinnert. Alles Übrige, der Globus, die Bücher, die Laute, die Flöten, ist deutlich erkennbar, mit Ausnahme dieses Gegenstandes.
    Und genau dafür interessiert sich Marie.
    Sie kehrt zum Tisch zurück.
    Fährt mit dem Finger über das Papier.
    Es ist ein menschlicher Schädel, der verzerrt wurde, um ihn unkenntlich zu machen. Mit Hilfe eines Spiegels oder eines gewölbten Löffels könnte man das Bild entzerren.
    Sie blickt sich um.
    Die großen Fenster sind geöffnet,

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