Die Liebe ist eine Insel
wie Salzkörner aussahen. Odon sagt, Salamander könnten zwanzig Jahre alt werden.
Die Jogar redet nicht über ihren Vater. Sie betrachtet die Vorhänge. Die Fenster stehen offen.
Sie zündet sich eine Zigarette an. Sie sind ganz allein auf der Straße. Eine nächtliche Straße, in einem verschwiegenen Viertel.
Der Garten ist von einer hohen Mauer umgeben. Eine kleine Tür führt zur Rückseite, die durch Efeu und die wild wachsenden Zweige eines Heckenrosenstrauchs vor den Blicken geschützt ist.
Die Tür ist von innen mit einem einfachen Haken verschlossen. Odon beugt sich vor, zieht ihn aus seiner Öse, und sie geht auf.
Hinten ein paar Bäume, eine kleine Buchsbaumallee. Die Jogar geht weiter. Die Bank, der Springbrunnen, der Brunnen mit den Salamandern. Sie fährt mit der Hand über den rauen Stein am Rand. Weiter weg zirpen Grillen im Kies.
Sie lässt sich mit dem Rücken am Stein des Brunnens zu Boden gleiten. Odon setzt sich neben sie.
»Was tut er wohl gerade, was glaubst du?«, fragt sie.
»Er denkt an dich«, sagt Odon. »Er schreibt ein Buch, das du lesen wirst, wenn er tot ist.«
»Was du da erzählst, ist unmöglich!«
Trotzdem lächelt sie.
Sie stellt sich ihren Vater in der Einsamkeit dieses großen Hauses vor. Sie sieht ihre Mutter in der Nacht der Erde liegen, wie einsam sie war im harten Schatten dieses Mannes.
Sie erschauert.
Sie schlingt die Arme um ihren Körper.
»Ist dir kalt?«, fragt Odon.
»Nein.«
Es ist etwas anderes.
»Er fehlt mir, und doch weiß ich, dass es sinnlos ist, ihn zu lieben.«
Sie lauscht den Geräuschen des Wassers im Springbrunnen. Dem schwerfälligen Flügelschlagen der Nachtfalter, den Schwärmern mit ihren toten Augen, am Tag fand sie sie tot hinter den Fensterscheiben.
»Ich werde wieder Mathilde, wenn ich hier bin.«
Odon steht auf, geht ein paar Schritte weiter, unter das Laub der Bäume.
Sie sieht ihn nicht mehr. Nur das glühende Ende seiner Zigarette.
»Können wir noch ein bisschen bleiben?«
»Können wir.«
M arie will gerade hinausgehen, als der Briefträger klingelt. Er hat ein Paket und braucht eine Unterschrift. Isabelle ist nicht in der Küche. Marie sucht sie.
Vor ihrem Schlafzimmer zögert sie. Am Abend zuvor hat Isabelle bis spät in die Nacht ferngesehen, es war heiß, und auf der Straße war es laut. Sie schläft bestimmt noch.
Marie hat diese Tür noch nie geöffnet. Sie klopft.
Keine Antwort.
Die Tür ist strohgelb und hat altmodische Zierleisten.
Sie dreht den Griff.
Drinnen ist es dunkel, die Fensterläden sind geschlossen. Marie wartet, bis ihre Augen sich daran gewöhnt haben. Ein Fenster steht offen. Sie klappt den Fensterladen zur Seite, um Licht hereinzulassen.
Ein großes Himmelbett. Darum herum Möbelstücke, der Rest des Zimmers ist leer.
Isabelle sitzt auf dem Bettrand, die nackten Beine ausgestreckt. Ihre Augen sind geöffnet. Sie trägt eine Leinentunika mit quadratischem Ausschnitt. Ihr gekrümmter Rücken ist im Spiegel zu sehen. Sie starrt vor sich hin.
Als Marie eintritt, dreht sie den Kopf nicht.
Auf dem Parkett stehen blaue Schnabelschuhe.
Das Licht, das durch die Fensterläden hereinfällt, beleuchtet ihren Körper, schneidet ihn aus der Dunkelheit aus. Ihre Haut ist blass, fast grau.
Sie wirkt wie ein lebendiges Leichentuch.
Das liegt am Licht. In ein paar Sekunden wird alles anders sein. Das Gesicht wird sich bewegt haben. Marie zückt ihren Fotoapparat.
Eine reflexartige Bewegung. Geräuschlos entfernt sie die Kappe, ohne Isabelle aus den Augen zu lassen, und richtet die Kamera auf sie. Der Körper, das Gesicht, die Hände, die zu beiden Seiten des Körpers flach auf die Matratze gestützt sind.
Die nackten dünnen Beine.
Das Licht ist schonungslos.
Marie drückt auf den Auslöser.
Sie gibt sich keine zweite Chance. Lässt den Apparat sofort wieder sinken.
Isabelle blickt auf.
»Du bist da …«
Marie erklärt die Sache mit dem Paket, dass der Briefträger auf dem Treppenabsatz warte.
Isabelle schlüpft in die Pantoffeln. Sie geht zur Tür.
»Kannst du die Fensterläden öffnen?«
Die Fensterläden sind aus durchbrochenem Holz. Ein kleiner quadratischer Hof. Ein alter Brunnen.
Marie geht durch das Zimmer.
Ein langer Umhang aus rotbraunem Stoff hängt auf einem Stummen Diener neben der Tür, Seide, dickes, schweres Futter. Auf der Kommode eine Scheide. Darin ein Degen. In einem Rahmen ein Foto von Pina Bausch.
Sie zieht den Degen aus der Scheide. Fährt mit den Fingern in die
Weitere Kostenlose Bücher