Die Liebe ist eine Insel
hinunterführt.
Die Jogar hat recht, das alles ist sinnlos.
Pfeifend springt sie die Stufen hinab.
Unten angekommen, kauft sie sich ein kaltes Getränk und begibt sich zum Chien-Fou.
D ie Gedankenurne liegt draußen auf dem Bürgersteig. Nicht hingestellt. Hingeworfen. Die Fotos darauf, mit einem Stein beschwert.
Marie pfeift nicht mehr.
Sie geht langsamer.
Julie und Damien sitzen am Tisch, zwischen ihnen das Schachspiel.
Julie blickt auf.
»Ich weiß nicht, was du meinem Vater getan hast, aber er ist wütend«, sagt sie und deutet auf die Urne.
Marie zuckt die Achseln.
Der Stein ist schmutzig, auf dem ersten Foto ist Erde.
Die Fotos sind mit heftigen Bewegungen abgerissen worden, ohne die Heftzwecken zu entfernen, die Ecken sind zerrissen.
Das Foto von Isabelle ist beschädigt.
»Hast du ein Ekzem?«, fragt Julie und betrachtet die Kratzer auf ihren Armen.
Marie antwortet nicht.
In einer Tüte unter dem Stuhl befinden sich Chips, Sandwiches und Coca Cola.
»Mein Vater ist ein Utopist«, sagt Julie, »das Theater für alle, er träumt davon, aber das funktioniert nicht.«
»Warum träumt er dann weiter?«, fragt Marie.
Julie seufzt.
»Tja, warum träumen die Menschen …«
Sie reicht Marie ein Sandwich.
Marie legt die Brotscheiben beiseite und isst nur den Schinken.
Julie erzählt, dass die Müllabfuhr gekommen sei und den Platz von dem herumliegenden Obst gereinigt habe. Sie spricht vom Festival, das sich dahinschleppt, und von den Akkordeonstunden, die sie ausgemacht haben.
Marie hebt die Gedankenurne auf. Es liegen Zettel darin, beim Aufheben hört sie es. Sie nimmt auch die Fotos.
»Kannst du mir das nicht erklären?«, fragt Julie.
»Es gibt nichts zu erklären.«
Julie zuckt die Achseln.
»Ihr nervt ganz schön, alle beide …«
M arie stellt die Urne auf die Matratze. Sie klebt die Fotos an die Wand, die Botschaften ebenfalls.
Dann stopft sie alle schmutzigen Kleidungsstücke in eine Tüte. Sie nimmt die Zettel aus der Urne, steckt sie in ihre Hosentasche und geht in den Waschsalon. Während die Wäsche sich dreht, liest sie die Botschaften. Danach beobachtet sie durch das Fenster die Passanten. Die Türen der klimatisierten Geschäfte gegenüber stehen weit offen.
Der Waschvorgang ist beendet.
Sie legt die saubere Kleidung in dieselbe Tüte. Geht hinaus.
Sie kauft Briefmarken und Klebstoff.
Postkarten auch, mehrere Dutzend, sie nimmt sie aufs Geratewohl vom Verkaufsständer, nur Landschaften und Ansichten von Avignon.
Ein Exemplar von Anamorphose in der Buchhandlung der Maison Jean Vilar.
Sie kehrt auf den großen Platz zurück. Wartet, bis ein Tisch unter den Bäumen frei wird. Sie bestellt einen Minzlikör mit viel Wasser. Bittet den Kellner, ihr eine Schere zu leihen.
Sie klebt auf die Rückseite jeder Karte eine Briefmarke.
Auf jede Vorderseite klebt sie eine Botschaft. Sie bedecken nicht die gesamte Oberfläche, die Landschaft ist an den Seiten und unten noch zu erahnen.
Sie schneidet Passagen aus Anamorphose aus und klebt sie auf die Rückseite, auf den Platz für den Text.
Sie wählt sie nicht aus, schneidet aufs Geratewohl aus, während sie die Seiten umblättert.
Auf die Rückseite jeder Karte schreibt sie die Adresse.
Mehr als fünfzig.
Sie steckt alles in den Briefkasten, vor der Sechzehn-Uhr-Leerung.
Anschließend schlendert Marie am Ufer der Rhone entlang. Im Gras eilen kleine Tierchen geschäftig hin und her. Sie schiebt die Halme auseinander. Eine winzige, vollkommene Welt.
Das Wasser fließt flussabwärts, wirbelnd und schwer. Gischt treibt am Rand, sie sieht aus wie gelber Speichel. Kleine Wellen bewegen die Wasseroberfläche. Sie zittert im Wind.
Ihr Bruder war ein Prinz, er war fähig, die richtigen Worte zu finden, um die Schönheit der Welt auszudrücken. Er vermochte, ihre Farben, ihre Kräfte zu sehen. In der Zeit, die vergeht, erkannte er die Zeit, die bleibt.
Sie sieht überall nur Risse. Sie hat Dunkelheit im Kopf, während er das Licht hatte.
Odon sagt, dass man die Asche der Toten in Diamanten verwandeln kann.
Sie setzt sich ans Ufer. Kratzt die Erde mit einem Stock, ritzt Zeichen hinein. Man lebt, man stirbt, all das muss doch einen Sinn haben?
Sie fragt sich, wie ihr Herbst aussehen wird.
A m nächsten Tag beginnt der Mistral zu blasen, eine erste Bö reißt die Gläser auf den Tischen um, wirbelt die Tischdecken hoch und lässt alles schlagen, was auf den Balkonen hängt.
Mehrere wütende Angriffe. Alles wirbelt herum, der
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