Die Liebe kommt auf leisen Pfoten
Sie sind schon wach?“, fragte sie freundlich.
„Guten Morgen. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, dass ich Sie habe schlafen lassen. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, Sie zu wecken.“
„Um Gottes Willen, nein. Im Gegenteil. Ich danke Ihnen vielmals, dass sie mich gestern quasi gerettet haben. Wahrscheinlich hätte ich es von meinem Taxi nicht mehr in die Wohnung geschafft. Wie schon gesagt, normalerweise bin ich nach einer Doppelschicht nicht so fertig, aber dieses Mal hatte ich zwischendrin kaum die Möglichkeit, mal für ein oder zwei Stündchen die Augen zuzumachen. Wie müde man dann ist, merkt man erst, wenn der Dienst rum ist.“
„Dann bin ich beruhigt. Wollen Sie auch einen Kaffee?“
„Gerne, aber dann gehe ich wirklich. Ich muss erst einmal nach Hause und kümmere mich von dort aus um eine Autowerkstatt. Meine Klamotten müssten inzwischen trocken sein.“
Tanja setzte den Kaffee auf und kramte noch ihre letzten Brotscheiben hervor. Dazu stellte sie Butter und Marmelade auf den Tisch.
„Oh ja, das tut gut“, meinte die Ärztin, als sie die ersten Schlucke des heißen Kaffees getrunken hatte. „Ich bin übrigens Anette. Ich finde, nach all dem sollten wir uns Duzen.“
„Gerne, ich bin Tanja. Wenn Du Dich noch ein wenig geduldest, bis die Geschäfte aufmachen, kann ich Dich auch gerne mitnehmen. Ich wollte nachher sowieso ins Einkaufszentrum. In meinem Kühlschrank herrscht gähnende Leere, wie Du vielleicht am Frühstück festgestellt hast.“
„Ich bin vollkommen glücklich mit Marmeladenbrote. Etwas anderes gibt es bei mir morgens auch nicht. Aber danke, ich werde wirklich ein Taxi nehmen. Ich will Deine Gastfreundschaft nicht noch weiter überstrapazieren. Außerdem will ich mich so schnell wie möglich um mein Auto kümmern. Schlimm genug, dass ich mich an meinem freien Tag mit so etwas rumschlagen muss.“
„Na ja, andere gehen auf Jobsuche“, rutschte es Tanja raus.
„Jobsuche? Oh stimmt ja“, kam es Anette wieder in den Sinn, „Du hattest gestern noch von Deinem Chef erzählt. Und ich bin...“
„Eingeschlafen“, lachte Tanja und beendete den Satz.
„Tut mir leid, Du musst mir noch mal auf die Sprünge helfen.“
„Kurz gefasst, mein Junior-Chef ist ein Drecksack, der den Frauen an die Wäsche will und der Senior-Chef blickt das nicht. Somit ist man ihm entweder hilflos ausgeliefert oder man kündigt. Ich habe mich für letzteres entschieden. Ich würde mich aber besser fühlen, wenn ich schon einen neuen Job in Aussicht hätte, bevor ich kündige.“
„Das kann ich verstehen.“
„Deshalb werde ich mir heute die Wochenendausgabe besorgen, da stehen immer die meisten Stellenangebote drin. Bisher war ich leider sehr erfolglos, was die Suche in Zeitungen und im Internet angeht. Ihr braucht im Krankenhaus nicht zufällig eine Einzelhandelskauffrau?“
„Nicht dass ich wüsste, aber ich habe mit der Verwaltung auch nichts am Hut.“
„Das war auch nicht ernst gemeint.“
„Trotzdem werde ich nachfragen. Es schadet nichts und manchmal tut sich zufällig was auf.“
„Du hörst Dich schon an wie mein Opa. Der hat das gleiche gesagt. Deshalb frage ich nachher auch noch bei meinem alten Ausbildungsplatz, ob sie nicht vielleicht eine Stelle frei haben.“
„Ich wünsche Dir auf jeden Fall viel Glück.“
„Danke.“
„Und jetzt rufe ich mir das Taxi.“ Anette ging ins Bad und holte ihr Handy. Sie bestellte sich das Taxi und während sie sich umzog, räumte Tanja den Tisch ab. Kaum war Anette aus dem Bad draußen, klingelte auch schon der Taxifahrer.
„Nochmals vielen Dank für das Asyl.“ Anette nahm Tanja in den Arm und drückte sie fest. Die war völlig überrumpelt und brachte gerade noch heraus: „Gern geschehen.“ Und nachdem sie sich wieder gefangen hatte: „Es war auch schön für mich, mal wieder mit jemandem so nett zu frühstücken.“
„Fand ich auch“, meinte Anette, „jetzt muss ich aber. Tschüss, ich denke wir sehen uns morgen wieder?“
„Morgen?“
„Im Krankenhaus, meine ich?“
„Ach so, ja natürlich. Ich denke, ich werde am späten Vormittag bei meinem Opa sein.“
„Okay, bis dann“, rief sie noch aus dem Treppenhaus.
Tanja stand noch eine Weile in der Wohnungstür, bis sie sie schließlich zu machte. Sie würde nur zu gern wissen, was ihr Opa der Ärztin noch alles erzählt hatte. Ob sie wusste, dass sie auf Frauen stand? Sie würde es ihren Opa heute Mittag wohl fragen müssen.
Im
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