Die Liebe kommt auf leisen Pfoten
Dennoch möchte ich, dass mein Erbe geregelt ist, wenn ich dann mal abtrete und dass es keinen Streit gibt. Sieglinde, Du weißt, dass Deine Nichte genauso erbberechtigt ist, wie Du. Da ihre Mutter, meine andere Tochter, bereits verstorben ist, tritt sie an ihre Stelle.“ Dr. Maus sah in die Gesichter der beiden Angehörigen. Die Enkelin bekam den Mund fast nicht mehr zu, wohl aus Überraschung über diese plötzliche Ansprache. Die Tochter hingegen schien kurz vorm Platzen zu sein und rang um Fassung. „Ich möchte“, fuhr der Opa fort, „dass Tanja sich aus meiner Wohnung, wenn es sie dann noch gibt, aussuchen kann, was sie will. Auch Du sollst natürlich haben dürfen, was Du willst, Sigi. Wenn es überhaupt etwas gibt, das Dich interessiert. Den Rest sollt ihr verkaufen oder wegwerfen und den Erlös unter Euch aufteilen. Bis auf eines. Tanja, ich möchte, dass Du die Angelausrüstung an Dich nimmst. Sie steht im Keller. Es ist mein Wunsch, dass Du sie behältst. Sie soll Dir Glück bringen und eine gute Zukunft bescheren.“
Jetzt wurde es Tanja ein bisschen zu viel. „Bitte hör auf Opa, das hat doch alles noch Zeit.“
„Das mag sein, mein Schatz, aber seit meinem Sturz ist mir bewusst geworden, dass es auch sehr schnell vorbei sein kann. Und Sie, Frau Dr. Maus“, nun sah er die Ärztin direkt an, „würde ich bitten, dass Sie auch weiterhin ein Auge auf meine Enkelin haben.“
„Soweit es in meinen Möglichkeiten liegt, gerne“, antwortete die Ärztin, die etwas überrumpelt von der Bitte des älteren Mannes war. Und mehr noch von ihrer eigenen Antwort.
„Nun, dann haben wir ja alles geklärt. Oder habt Ihr noch Fragen?“ Die drei Frauen in dem Zimmer schüttelten hastig den Kopf und die Ärztin fand als erstes zu ihrer Sprache zurück. „Ich werde mich nun verabschieden. Ich habe gleich Feierabend und habe morgen meinen verdienten freien Tag. Das heißt, wir sehen uns erst Sonntagmorgen wieder, Herr Drexler. Machen Sie es gut“, sagte sie in die Runde und eilte aus dem Zimmer.
„Mir reicht es auch für heute“, verkündete die Tante und verließ ebenfalls den Raum.
„Ich muss mich jetzt erst einmal setzen“, sagte Tanja. „Musste das sein, Opa? Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“
„Tut mir leid, mein Kind. Aber ich habe es ernst gemeint. Es kann schneller zu Ende gehen, als man denkt. Und ich will nicht, dass Sieglinde Dir Ärger macht. Außerdem wollte ich sicher sein, dass es neutrale Zeugen für meinen letzten Wunsch gibt.“
„Und gleichzeitig organisierst Du mir noch ein Date oder wie?“
„Wieso?“
„Weil Du gleich noch die Ärztin in Deinen letzten Willen mit eingespannt hast. Findest Du das nicht ein bisschen abwegig?“
„Ich gebe zu, dieser Einfall kam mir spontan. Aber sei ehrlich, Du bist einfach viel zu lieb und würdest Dich von Deiner Tante noch über den Tisch ziehen lassen. Hauptsache, Du hättest Deine Ruhe. Und ich glaube schon, dass die Ärztin da ein Auge drauf hätte, dass es nicht so kommen würde.“
„Und wie kommst Du überhaupt darauf, dass Dr. Maus und ich noch so lange Kontakt haben werden, bis es mal so weit ist?“
„Das musst Du schon selbst hinbekommen. Ich heiße nicht Amor und habe auch nicht Pfeil und Bogen. Nur eine Angelausrüstung, mit der Du sie an Land ziehen kannst.“ Jetzt lachte ihr Opa wie ein kleiner Schuljunge. „Aber Spaß bei Seite. Es ist mir ernst. Wenn es mal so weit kommen sollte, dann nimmst Du den Ersatzschlüssel für meine Wohnung und holst Dir raus, was Du haben willst. Ich möchte nicht, dass Sieglinde Dir den Zutritt verwährt oder die Angelausrüstung mit Absicht vorher wegwirft, nur um noch eine späte Genugtuung zu genießen.“
„Ich verstehe das ganze sowieso nicht. Woher kommt all ihr Hass?“
„Sieglinde hatte als Kind immer das Gefühl, dass wir Deine Mutter mehr lieben würden als sie. Wir wussten nicht, warum sie sich das eingeredet hat. Deine Oma und ich, wir haben jedenfalls nie eine von unseren Töchtern bevorzugt oder weniger geliebt. Als Deine Mutter dann noch Deinen Vater geheiratet hat und Du zur Welt kamst, da kam sie sich noch mehr wie eine Verliererin vor, weil sie keine Enkel vorweisen konnte. Sie vergrub sich immer mehr in Neid und Missgunst. Das hat selbst nach dem Tod Deiner Mutter nicht aufgehört. Im Gegenteil. Sie nahm es uns übel, dass wir uns um Dich gekümmert haben, anstatt ihr jetzt unsere volle Aufmerksamkeit zu schenken. Ich weiß nicht, warum sie
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