Die liebe Verwandtschaft
Gelächter aus.
»Ausgezeichnet! Ich wusste gar nicht, dass Sie so witzig sind!«
»Herr«, antwortete Tolaat Shani, ein im Übrigen eher ernsthafter und trockener Mann, »ich respektiere meine Schwiegermutter und würde sie niemals wissentlich kränken.«
»Nicht? Warum machen Sie dann so blöde Witze?«
Nachdem Tolaat Shani seinem Anwalt die Situation erklärt hatte, riet dieser ihm zu einer Verleumdungsklage, gab jedoch zu bedenken, dass in solchen Prozessen der Kläger am Ende meistens der Verlierer sei, weil die Richter in der Zwischenzeit vergessen, um was es sich überhaupt handelt. Deshalb empfahl Dr. Shay-Sheinberger, an den Chefredakteur der »Glücklichen Familie« einen scharf gehaltenen Brief zu richten:
»Mit Empörung las ich in Ihrem Blatt die alte, abgestandene Anekdote, die Sie ohne mein Wissen und ohne meine Erlaubnis mir zugeschrieben haben. Ich fordere Sie hiermit zu einer unverzüglichen moralischen Wiedergutmachung auf, und zwar so wohl für mich wie für meine Schwiegermutter, die sich bester Gesundheit erfreut und zu der wir beide, meine Frau und ich, im denkbar harmonischsten Familienverhältnis stehen. Ich fordere Sie ferner auf, in der nächsten Ausgabe Ihres Blattes eine entsprechende Entschuldigung zu veröffentlichen. Andernfalls würde ich mich genötigt sehen …«
»Da haben Sie ja etwas Schönes angerichtet, Ziegler«, begann der Chefredakteur mit übertrieben vorwurfsvoller Stimme. »Tolaat Shani verlangt eine Entschuldigung von mir.«
Ziegler begann zu stottern.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass er sich ärgern wird.«
»Ärgern? Was reden Sie?« Die jahrzehntelange Berufserfahrung des Chefredakteurs kam vollends zum Durchbruch. »Er ist außer sich vor Freude, der schäbige Publicityjäger! Merken Sie denn nicht, dass es ihm auf nichts anderes ankommt? Aber so sind diese Literaten. Man verschafft ihnen ein wenig Reklame – schon kommen sie gerannt und wollen noch mehr! Ganz gleich, was man über sie schreibt und wie man schreibt. Hauptsache, ihr Name wird genannt.«
»Diese verlogene Bande!«, bestätigte Ziegler.
»Ganz richtig. Aber so sind die nun einmal. Ich werde also eine Art Entschuldigung schreiben, am besten einen fingierten Brief im Namen Tolaat Shanis. Den hätte er eigentlich selbst schreiben können, der Patzer. Na schön. Bringen Sie mir das › Schatzkästlein des Humors 1929 ‹ , Ziegler.«
In einer dunklen Ecke seines Stammcafés saß Tolaat Shani und hielt die jüngste Ausgabe der »Glücklichen Familie« in Händen. Dieselben zitterten. Denn er las Folgendes:
»Als treuer Leser Ihres ausgezeichneten Magazins möchte ich Sie wissen lassen, mit welchem Vergnügen ich die köstliche Anekdote über meine Schwiegermutter gelesen habe. Herzlichen Glückwunsch. Aus Gründen der Fairness muss ich mich allerdings bei Ihnen entschuldigen. Ich bin leider nicht der Urheber der außergewöhnlich witzigen Bemerkung, die Sie mir zuschreiben. Wie sollte ich auch im Zusammenhang mit meiner Schwiegermutter an ein Begräbnis denken? Sie ist, Gottlob, gesund wie ein Pferd. Außerdem kocht sie mir immer meine Lieblingsspeisen. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen, hochverehrter Herr Chefredakteur, eine kleine Geschichte erzählen, die sich vor Kurzem bei uns ereignet hat. In einer Tierhandlung, an der ich zufällig vorbeikam, erregte ein großer, wunderschöner Papagei meine Aufmerksamkeit. Nach Auskunft des Ladenbesitzers war er hervorragend abgerichtet und konnte Sätze in sieben Sprachen sprechen. Ich entschloss mich, den kostbaren Vogel zu kaufen und ließ ihn in unser Haus bringen. Unglücklicherweise erwartete meine Frau zur gleichen Zeit ein Brathuhn, das sie bei unserem Geflügelhändler fürs Abendessen bestellt hatte. Das Verhängnis nahm seinen Lauf und der Papagei beendete sein Le ben im Kochtopf meiner Schwiegermutter. Als ich am Abend den fatalen Irrtum entdeckte, konnte ich mich nicht zurückhalten und rief meiner Schwiegermutter zu: › Was ist dir eingefallen, den Papagei zu braten? Der Vogel hat mich ein Vermögen gekostet. Er konn te sieben Sprachen sprechen! ‹
› So? Warum hat er dann kein Wort gesagt? ‹, antwortete meine Schwiegermutter.
Ich hoffe, dass diese kleine Geschichte Ihren Lesern ein wenig Freude machen wird und bin in aufrichtiger Verehrung. Ihr ergebener Jizchak Tolaat Shani«
Das Personal und die Gäste des Kaffeehauses beobachteten fasziniert, wie der vielversprechende Dramatiker das beliebte Wochenmagazin auf den Boden
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