Die liebe Verwandtschaft
Stummfilmzeiten ein klassisches Trauerspiel. Ich sprang hinaus und überließ den Bus seiner klebrigen Weiterfahrt.
»Guter Gott.« Die beste Ehefrau von allen schüttelte fassungslos den Kopf, als ich zu Hause ankam. »Was ist geschehen?«
»Tante Ilka«, sagte ich, stürzte ins Badezimmer und blieb eine halbe Stunde lang unter der Dusche, voll bekleidet, mit Aktentasche.
Auf die Frage, ob zuerst das Ei da war oder die Henne, weiß ich auch heute keine Antwort. Ich weiß nur, dass ich in einem öffentlichen Verkehrsmittel lieber mit einer Henne fahren würde als mit einem Ei.
Generationskonflikt auf literarischer Ebene
Vor einigen Jahren, eigentlich ist es noch länger her, baute sich eines Morgens mein mittlerer Sohn Amir drohend vor meinem Schreibtisch auf.
»Stimmt es«, fragte das aufgeweckte Kind, Aggression in den Augen, »dass du schon wieder ein Buch über deine Kinder geschrieben hast?«
»Ja«, antwortete ich, »das habe ich und es ist mein angestammtes Recht.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, antwortete mein Sohn, »aber meinst du nicht, du hättest uns fragen müssen?«
»Das muss ich bestimmt nicht. Ihr seid schließlich noch minderjährig.«
»Wie du meinst.« Und verschwindet. Er ist rothaarig, der Knabe.
»He«, rufe ich ihm nach, »wohin gehst du?«
»Zu meinem Anwalt.«
Ausgelöst wurde die Debatte durch ein 340 Seiten langes, vielbeachtetes Werk aus meiner Feder, das in jenen Tagen unter dem harmlosen Titel »Beste Familiengeschichten« veröffentlicht wurde. Die Enthüllungen schrieb ich über, genauer gesagt, gegen meine drei Kinder, die beste Mami von allen, die Hündin Franzi und die Nachbarn von nebenan. Das Familienepos beginnt mit der Geburt meines Sohnes Raphael vor vielen Jahren und endet niemals. Man könnte es auch provokativ »Die Meuterei der Eltern« nennen, denn ich verfasste es als Beleg dafür, dass die Selbstaufgabe der Eltern gegenüber ihren Kindern eine pathologische Erscheinung darstellt, die auch durch das gnadenlose Regime der Kinder im häuslichen Alltag nicht gerechtfertigt wird.
Ein Beispiel: Vor Kurzem war ich bei einem meiner klügsten Freunde zu Gast und sein kleiner Avigdor, der etwa zwei Meter misst, lief wortlos durchs Zimmer. Der Vater wusste, was von ihm erwartet wird.
»Avi«, flötete er, »hast du dem Onkel guten Tag gesagt?«
»Nein«, sagte Klein-Avi und verschwand in Richtung Videogerät.
Mein kluger Freund strahlte vor väterlichem Stolz.
»Siehst du, das Kind kann einfach nicht lügen.«
Ist mein Freund wirklich so dumm? Vielleicht. Aber es ist nun einmal so, dass wir, die israelischen Väter, die Früchte unserer Lenden, die uns, dank der Sonne und der Jaffa-Orangen, im Durchschnitt um eineinhalb Köpfe überragen, derart vergöttern, dass wir einfach verliebt sind in diese erste nationale Generation des internationalen Judentums, in diese herrlichen Wesen, die, zugegeben, hier und da ein wenig frech, manchmal auch unhöflich oder ungezogen, ein kleines bisschen aggressiv, kurz völlig unausstehlich, aber dennoch unsere Kinder sind?
Sicherheitshalber befragte auch ich meinen Anwalt. Ich wollte wissen, ob Meinungsfreiheit und künstlerische Freiheit auch in Familienangelegenheiten gelten?
Mein Anwalt, der selbst ein paar dieser herrlichen Wesen zu Hause hat, sagte zu, die heikle Angelegenheit gründlich zu prüfen. Er studierte die einschlägigen Akten und zog einen zweiten Rechtsexperten zu Rate. Bereits zwei Tage später meldete er sich.
»Ich konnte in Großbritannien einen Präzedenzfall ermitteln. Eine Waliserin aus Cardiff verklagte im Jahre 1664 ihren Mann, der sie im Lokalblatt als ein › Musterexemplar von Hexe ‹ bezeichnet hatte. Der Fall gelangte bis zum Obersten Gericht vor König Karl II.«
»Und wie ging die Sache aus?«
»Der Mann konnte Beweise erbringen.«
Ich war sehr erleichtert, nun habe ich in meiner Familie einen besseren juristischen Stand. Obwohl ich selbst meine Frau niemals in aller Öffentlichkeit als »Musterexemplar einer Hexe« bezeichnet hätte, dazu verehre ich sie und die Früchte ihres Leibes zu sehr.
Natürlich erlaube ich mir dann und wann, meine Lieben für literarische Zwecke zu nutzen und will auch nicht verschweigen, dass mir meine Familie schon aus mancher Notlage geholfen hat. Wenn in meinem ausgedorrten Gehirn nämlich gar kein satirischer Ge danke mehr zündet, stürme ich in das Zimmer meines mittleren Sohnes Amir und frage: »Ein Zimmer nennst du das? Ein Saustall ist das.«
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