Die liebe Verwandtschaft
dicken Haushälterin war natürlich unverschämt, aber was tun?
Dann gab es nur noch ein Problem. Nava und Renana pflegten wie Schlafwandle rinnen mit geschlossenen Augen durch Winternitzens Wohnung zu torkeln, eine Spur von umgestürzten Möbeln, zerbrochenen Vasen und verstreuten Essensresten hinterlassend. Wir versuchten gar nicht, mit Regina darüber zu verhandeln, wohl wissend, dass sie professioneller Babysitter war und keine Aufwartefrau. Also veranlassten wir unsere eigene Raumpflegerin, täglich um vier Uhr früh bei Winternitz aufzukreuzen.
»Genug!«, schrie die beste Ehefrau von allen leicht hysterisch. »Schluss damit, bevor wir völlig den Überblick verlieren!«
Das Gespräch unter vier Augen mit Renana fand statt und der Kompromiss lautete schlicht: Aufhören kommt überhaupt nicht infrage.
Es scheint, dass das berauschende Gefühl eines festen Einkommens unserer Renana zu Kopf gestiegen ist. Soviel ich weiß, plant sie mit ihren Ersparnissen Aktien zu erwerben, diese mit gewaltigem Gewinn zu verkaufen und dafür Berge von Kaugummi anzuschaffen. Die beste Ehefrau von allen suchte neulich den geschiedenen Zahnarzt auf und bat Frau Winternitz mit erhobenen Händen, zu ihrem Mann zurückzukehren. Oder falls der Zahnarzt seine Zustimmung verweigern sollte, uns wenigstens das Baby adoptieren zu lassen.
Ich habe inzwischen für Renana einen Privatlehrer engagiert, weil sie neuerdings sämtliche Schulstunden durchschläft. Außerdem sprach ich mit meinem Steuerberater. Dieser gab mir den Rat, die riesigen Unkosten aus der Erwerbstätigkeit meiner Tochter von der Steuer abzusetzen. Dazu müsste ich allerdings etwas darüber schreiben.
Was hiermit geschehen ist.
Paka
Mein Neffe Aladar ist ein Neueinwanderer, stammt ebenso wie ich aus Magyarország und hat sein Leben lang nur Ungarisch gesprochen. Diesem Doppelschlag versuchte er dadurch zu entgehen, dass er sofort nach seiner Ankunft Hebräisch lernte. Anscheinend nicht gut genug.
Als die einzige Bratpfanne in seiner bescheidenen Küche einen Sprung bekam, begab er sich zu Landesmann & Abramski, Metallwaren und Haushaltsgegenstände, um einen Lötkolben zu kaufen. Zuvor schlug er in seinem ungarisch-hebräischen Taschenwörterbuch nach: › Paka ‹ = › Malchem ‹ erfuhr er da, denn › Lötkolben ‹ heißt auf Ungarisch › Paka ‹ und auf Hebräisch › Malchem ‹ .
So gerüstet wandte sich Aladar in bestem singenden Akzent an den Verkäufer.
»Ich möchte einen großen Malchem.«
Der in Israel geborene Verkäufer kannte – fast möchte man sagen: eben deshalb – so ausgefallene Vokabeln wie Malchem nicht. Er lächelte freundlich und sprach betont langsam.
»Sprechen Sie noch eine andere Sprache? Vielleicht Jiddisch?«
In Aladars Brust erwachte der Patriotismus.
»Ich spreche nur Hebräisch«, brüllte er. »Und wenn Sie mich nicht verstehen, rufen Sie Ihren Chef.«
Vom Gebrüll ohnehin herbeigeholt, erschien Herr Landesmann.
»Sie wünschen?«
»Einen Malchem. Einen großen Malchem.«
»Sprechen Sie Deutsch?«
»Malchem«, wiederholte Aladar beharrlich. »Malchem!«
»Was ist das?«
Aladar stürzte sich in die Arme seiner Muttersprache.
»Einen Paka«, rief er zornbebend. »Paka! Verstehen Sie jetzt? Pa–ka!«
Herr Landesmann, durch seinen eigenen deutschen Akzent verunsichert, kapitulierte. Er stotterte etwas Undeutliches, trat an seine Regale, glitt mit der Hand an ihnen entlang und hielt bei jedem Stück mit einem fragenden Blick an. Als er zum Lötkolben kam, nickte Aladar.
»Ach so«, murmelte Herr Landesmann. »Sie wollen einen … hm … einen …«
»Einen Paka«, ergänzte Aladar höhnisch. »So heißt das nämlich. Paka.«
Und er verließ triumphierend den Laden.
Herr Landesmann winkte den Verkäufer zu sich.
»Ich möchte wissen, Jossi, wozu ich mir einen Sabre im Geschäft halte, wenn er von der Kundschaft Hebräisch lernen muss. Schämen Sie sich. Nicht einmal ein so einfaches Wort wie › Paka ‹ kennen Sie.«
»Doch, ich kenne es«, widersprach der im Land Ge borene. »Aber bei uns zu Hause haben wir es › Lotkol ban ‹ genannt. › Paka ‹ ist, wie soll ich sagen, ein mehr literarischer Ausdruck.«
Ungeduldig wartete Herr Landesmann auf seinen Kompagnon Abramski, einen Schüler des großen Rabbi von Podgoretz und profunden Kenner der hebräischen Sprache.
»Während Ihrer Abwesenheit«, ließ er beiläufig fallen »haben wir einen Paka verkauft.«
»Einen was?«
»Einen Paka. Sogar einen
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