Die liebe Verwandtschaft
Worte, nahm mich zusammen und sprach zu mir selbst: »Was bist du doch für ein Jammerlappen, dass du dich nicht entspannen kannst! Es ist eine Schande. Entspann dich endlich, du Idiot, entspann dich …«
Am Abend wurde ich ins Krankenhaus gebracht. Der Professor, der mich untersuchte, hatte sofort he raus, dass ich nervös und verkrampft war. Und er wusste Rat.
»Sie müssen sich entspannen«, sagte er. »Vergessen Sie Ihre Sorgen. Seien Sie ruhig, fühlen Sie sich frei und glücklich, entspannen Sie sich! Sobald Sie sich unbelastet und glücklich fühlen, werden Sie automatisch aufhören, sich belastet und unglücklich zu fühlen. Wir haben unsere Erfahrungen. Wir wissen Bescheid. › Entspannung ‹ heißt das Motto …«
Leider war ich um diese Zeit schon im Besitz einer schweren, doppelseitigen Allergie gegen das Wort › Entspannung ‹ . Wenn ich es nur hörte, geriet mein ganzer Körper in wilde Zuckungen und ich spürte ei nen unwiderstehlichen Zwang, laut zu krähen. Der Professor deutete das als Zeichen mangelnder Koope rationsbereitschaft, brach die Behandlung angewidert ab, erlitt einen Nervenzusammenbruch und versuchte mich zu erwürgen, wurde aber von zwei rasch herbeieilenden Wärtern, die ihm gewaltsam eine Morphiumspritze verabreichten, im letzten Augenblick daran gehindert.
Ich selbst nahm um Mitternacht, als ich endlich allein war, eine Überdosis Schlaftabletten, die sofort ihre Wirkung tat. Vor meinen Augen wurde es schwarz …
Ich erwachte. Rings um mich war zackiges Gestein, aus dem rote Flammen emporzüngelten. Eine Gestalt mit Hörnern und einer riesigen Gabel trat auf mich zu.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Wo bin ich?«
»In der Hölle«, sagte Mephistopheles. »Entspannen Sie sich!«
Ein Schnuller namens Zezi
Obwohl Renana dem Babyalter schon entwachsen ist, will sie noch immer nicht vom Schnuller lassen. Der Doktor sagt, das sei völlig normal. Angeblich erstreckt sich das Bedürfnis nach dem Schnuller durch die ganze Übergangszeit, die zwischen der Entwöhnung von der Mutterbrust und dem Beginn des Zigarettenrauchens liegt. Der Doktor sagt, dass der Schnuller als eine Art Mutter-Ersatz dient – was mir keineswegs einleuchtet, denn Mütter, soviel ich weiß, bestehen nicht aus rosa Plastikstoff mit einem Mundstück aus gelbem Gummi. Wie immer dem sei, das Phänomen des Schnullerbedürfnisses hält uns allnächtlich wach, um so wacher, als Renana nicht am Schnuller im Allgemeinen hängt, sondern an einem speziellen Schnuller namens Zezi.
Dem Auge des Erwachsenen stellt sich Zezi als ganz normaler Schnuller dar: ein Massenerzeugnis der aufs Kleinkind eingestellten Massenindustrie. Aber unser rothaariges Töchterchen weigert sich, einen anderen Schnuller auch nur anzurühren.
»Zezi!«, ruft sie. »Zezi!«, schreit sie. »Zezi!«, brüllt sie. Und noch einmal »Zezi!«
Schon nach dem ersten »Zezi!« geht die gesamte Belegschaft unseres Hauses in die Knie und sucht auf allen Vieren nach dem gewünschten Gegenstand. Der erleichterte Ausruf des Finders ist für uns von ähnlicher Bedeutung, wie es der Ausruf »Land!« für Columbus gewesen sein mag. Sobald Zezi gefunden ist, beruhigt sich Renana in Sekundenschnelle und saugt behaglich an Zezis gelbem Mundstück, umlagert von ihren völlig erschöpften Hausgenossen.
»Ein Zeichen«, sagt der Doktor, »ein sicheres Zeichen, dass es dem Kind an elterlicher Liebe fehlt.«
Das ist eine Lüge. Wir beide, die beste Ehefrau von allen und ich, lieben Renana sehr, solange sie nicht brüllt. Es hängt nur von Zezi ab. Mit Zezi ist alles in Ordnung, ohne Zezi bricht die Hölle los. Wenn wir uns einmal dazu aufraffen, den Abend anderswo zu verbringen, verfällt die beste Ehefrau von allen beim geringsten Telefonsignal in hysterisches Zittern: Sicherlich ruft jetzt der Babysitter an, um uns mitzuteilen, dass Zezi unauffindbar und Renanas Gesicht bereits purpurrot angelaufen ist. In solchen Fällen werfen wir uns sofort ins Auto, sausen mit Schallgeschwindigkeit heimwärts, notfalls auch über die Leichen einiger Verkehrspolizisten – und müssen den Babysitter dann meistens unter vielen umgestürzten Möbelstücken hervorziehen.
Was etwa geschehen würde, wenn Zezi endgültig verlorenginge, wagen wir nicht zu bedenken.
Sehr intensiv hingegen beschäftigt uns die Frage, wieso Renana weiß, dass Zezi Zezi ist.
Eines Nachmittags, während Renana schlief, eilte ich mit dem geheiligten Schnuller in die Apotheke, wo wir ihn gekauft
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