Die liebe Verwandtschaft
schweren Schrank mit Schlüssel und Gegenschlüssel und holten Zezi hervor. Renana, in ihrer Wiege liegend, nahm Zezi zwischen die Lippen, lächelte zufrieden und schloss die Augen. Wir entfernten uns auf Zehenspitzen.
Ein unerklärlicher Drang trieb mich zur Tür zurück und ließ mich durchs Schlüsselloch schauen.
»Weib!«, flüsterte ich. »Komm her! Rasch!«
Mit angehaltenem Atem sahen wir, wie Renana vorsichtig aus ihrer Wiege kletterte, zu einem Fauteuil watschelte und Zezi im Schlitz zwischen Kissen und Lehne verschwinden ließ. Dann kehrte sie in die Wiege zurück und begann mörderisch zu brüllen.
Das Gefühl der Erlösung, das uns überkam, lässt sich nicht schildern. Wir hatten also ein ganz normales Kind. Keine Komplexe, kein ungestilltes Zärtlichkeitsbedürfnis, kein Gefühlsmanko. Sie war nicht im mindesten auf ihren Schnuller fixiert. Sie war ganz einfach darauf aus, uns zu quälen.
Der Doktor sagt, dass dieses Phänomen unter den Angehörigen der Gattung Säugetiere häufig zu beobachten ist, meistens als Folge mangelnder Elternliebe.
Ich mache Karriere
»In Amerika«, sprach meine Tante Trude, als wir eines Abends den Stadtteil Brooklyn durchwanderten, »in Amerika kannst du ohne Publicity keine Karriere machen.«
»Ich weiß«, antwortete ich kleinlaut. »Aber wie soll ich das anfangen?«
»Du musst im Fernsehen auftreten. Das wäre das beste. Oder etwas Ähnliches. Glücklicherweise habe ich ausgezeichnete persönliche Verbindungen sowohl zum Rund funk wie zum Fernsehen. Im Rundfunk wird es leichter sein, weil ich im Fernsehen niemanden kenne.«
Der Rest war ein Kinderspiel. Meine Tante trifft bei ihrem Friseur gelegentlich mit Frau Perl Traubman zusammen, die seit vierzig Jahren in einem jiddischen Radiosender New Yorks die beliebte »Fanny-Swing-Show« leitet, ja mehr als das: Frau Traubman ist mit Fanny Swing identisch und verfügt sowohl in Brooklyn wie in der Bronx über eine große Anhängerschaft besonders unter den Hausfrauen.
Schon wenige Tage später kam Tante Trude vom Friseur nach Hause, ihr Gesicht unter den frisch gelegten Dauerwellen strahlte.
»Perl Traubman erwartet dich morgen um 7.30 Uhr im Studio 203. Ich habe ihr gesagt, dass du Beat-Lyrik schreibst und ein Oberst bei den israelischen Fallschirmjägern bist, und sie war sehr beeindruckt. Du bist auf dem Weg zu einer amerikanischen Karriere.«
Wir fielen einander schluchzend in die Arme.
Frau Traubman-Swing ist eine freundliche Dame von Anfang sechzig und sieht auch nicht viel älter aus, wenn man ihre knallblond gefärbten Haare und ihre grellrot geschminkten Lippen außer acht lässt. Ich musste im Studio 203 eine halbe Stunde auf sie warten, denn sie erschien erst knappe zwei Minuten vor dem Beginn der Live-Sendung und begann sogleich die verschiedenen Meldungen vorzulesen, die man im Senderaum für sie vorbereitet hatte. Als sie fertig war, schüttelte sie mir zur Begrüßung die Hand und fragte: »In welcher Synagoge singen Sie, Herr Friedmann?«
Ich berichtigte, dass ich meine liturgische Tätigkeit aufgegeben hätte, und stellte mich als der lyrische Oberst von Tante Trudes Friseursalon vor.
»Richtig, richtig.« Frau Traubman blätterte gedankenvoll in den vor ihr liegenden Papieren. »Kantor Friedmann kommt ja erst nächste Woche. Schön, wir können anfangen.«
Ein rotes Lämpchen flammte auf, ein mürrischer Glatzkopf kam in den Raum geschlurft, rief dreimal »Fanny« ins Mikrophon und setzte sich zu uns an den Tisch. Frau Traubmans Stimme, die eben noch geschäftsmäßig zerstreut geklungen hatte, nahm das schwelgerische Timbre einer verliebten Nachtigall an.
»Guten Morgen, Freunde. Sie hören Ihre Freundin Fanny Swing aus New York. Draußen regnet es, aber wenigstens ist es nicht feucht, sondern kühl. Sollte der Winter gekommen sein? Und weil wir schon von › ge kommen ‹ sprechen: In unser Studio ist heute ein sehr lieber Besuch gekommen, ein guter alter Freund, des sen Name Ihnen allen bekannt ist, besonders den Besuchern der Or-Kabuki-Synagoge …« (hier machte ich mich mit einer Handbewegung bemerkbar, die Frau Traubman sofort kapierte), »…aber auch alle anderen werden den großen israelischen Dichter kennen, der soeben eine kurze Inspektionsreise durch die Vereinigten Staaten unternimmt. Er ist aktiver Oberst in der israelischen Luftwaffe und Reserve-Astronaut. Wie geht es Ihnen, Herr Kitschen?«
»Danke«, antwortete ich in fließendem Englisch. »Sehr gut.«
»Das freut mich.
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