Die Liebe zu Rosen mit Dornen
noch nicht ausgerechnet, aber wahrscheinlich habe ich in diesen Betten genauso viel Zeit verbracht wie in meinem eigenen.
Einmal, als sie zehn war, ist meine Schwester von einem Baum gefallen und mit dem Kopf aufgeschlagen. Sie war bewusstlos und wachte im Krankenhaus wieder auf. Mein Kinderarzt sah den Namen »Garner« auf der Liste und lief gleich hin. Ausnahmsweise war es eine andere Garner. Der Arzt fragte Becky, ob sie wisse, wo sie sei. »Ich bin in Gals Bett«, sagte sie.
Der Kinderarzt war sicher, dass Becky eine Hirnverletzung hatte, bis meiner Mutter ein Licht aufging. »Sie glaubt, dass Gals Bett im Krankenhaus steht, weil Gal immer hier ist.«
Wenn meine Mutter die Geschichte erzählt, will Becky nie begreifen, worum es dabei geht. »Der Arzt war also erleichtert, dass es nicht Gal war, sondern nur ich?«
»Gal hat schon viel mehr durchgemacht als du«, erwidert meine Mutter dann. Eine abgedroschene Erklärung.
Im Dialyseraum lullen mich die Geräusche meines künstlichen Organs ein. Ich wache nicht mal mehr auf, wenn die Blutdruckmanschette piept.
Als ich wieder zu mir komme, fühle ich mich mehr oder weniger wie die alte Gal, was bedeutet: einigermaÃen okay. Ein normaler Mensch wie Dara würde wahrscheinlich denken, er hätte eine Grippe, aber das ist für mich inzwischen normal.
Als ich nach Hause komme, liegen Nebelschwaden auf meinem Rosengarten. Ich habe nicht nach dem Wetterbericht gesehen und weià nicht, wann es wieder aufklart. Ich schlieÃe die Tür auf. Die Luft im Haus ist unangenehm muffig, also öffne ich das Küchenfenster. In der Spüle stehen die schmutzigen Teller von meinem gestrigen Abendessen. Ich hätte sie in den Geschirrspüler stellen und nicht darauf hoffen sollen, dass aus heiterem Himmel jemand kommt und es für mich erledigt. Ich fahre meinen Computer hoch und mache mir einen Becher Tee. Im Garten nebenan ist die alte Mrs Allen wieder beim Rasensprengen, obwohl sie doch gestern schon reichlich gegossen hat. »Sie werden Ihren kostbaren Rasen noch ertränken«, sage ich leise. Sie trägt einen bestickten, schwarzen Hausmantel, aus dem unten ein dickes Flanellnachthemd hervorlugt. Ich trete einen Schritt zurück, bevor sie mich entdeckt.
Ich nehme einen Schluck von meinem Tee. Meine Mutter hat ihn mir geschickt, obwohl wir hier in Kalifornien sind, nicht in Sibirien. Mom informiert sich über Kräutermedizin und schickt mir kistenweise Vitamine und Nahrungsergänzungspräparate, deren Wirkung durch keinerlei wissenschaftliche Untersuchung belegt ist. Früher habe ich ihr immer wieder gesagt, dass sie ihr Geld zum Fenster rauswirft, aber inzwischen stelle ich die Kartons ins Lehrerzimmer und schreibe »zu Verschenken« darauf. Bis Mittag sind sie alle weg. Noch nie hat sich jemand dafür bedankt.
Auf dem Schreibtisch steht mein MacBook, das ich mit erheblichem Preisnachlass über die Schule gekauft habe, und zeigt mir eine neue E-Mail an. Mein Herz schlägt ein bisschen lauter. Wahrscheinlich ist es nur eine Benachrichtigung vom Online-Rosen-Forum, dass ich eine neue Nachricht in meinem Hulthemia-Thread habe, aber ich hoffe, es ist etwas anderes. Ich stelle fest, dass sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, so strahlend und auÃergewöhnlich, dass es fast wehtut. Es ist Byron.
Byron Madaffer, in Rosenkreisen bekannt als Lord Byron. Er wohnt in Texas, auf einer riesigen Ranch mit eigenem Flugplatz. Seine Vorfahren waren Rinderzüchter, aber auch Immobilieninvestoren. Heute ist Byron so reich, dass er sich nicht mehr mit Rindern abgeben muss. Er muss sich mit nichts mehr abgeben, womit er sich nicht abgeben möchte. Stattdessen züchtet er Rosen.
Er hat schon diverse Male die »Queen of Show« gewonnen, und GroÃgärtnereien überschlagen sich, um seine Rosen zu bekommen und auszutesten. Die erfolgreichste ist von hellem Rosa, mit orangefarbenen Spitzen, und trägt den Namen »Byronâs Flame«. Es ist eine herrlich duftende Teerose mit langem Stiel. Wer jemals ein Dutzend Rosen zum Valentinstag bekommen hat, dem wird aufgefallen sein, dass sie kaum jemals gut riechen, wenn überhaupt. Sie könnten ebenso gut aus Seide sein. Nicht so Byrons.
Natürlich ist mir nicht entgangen, dass Byron mit seinen Helfern über Möglichkeiten verfügt, die ich nicht habe. Aber er hat mich davon überzeugt, dass auch ich erreichen kann, was er
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