Die Liebe zu Rosen mit Dornen
hätte ihr jemand einen Knüppel zwischen die Beine geworfen. Sie sank in Dads Lehnstuhl und schnürte ihre Schuhe zu, die gar nicht geschnürt werden mussten.
»Keine Zeit, danke.« Ihre Stimme klang zu aufgekratzt, überschlug sich fast, und die Haare hingen ihr ins Gesicht, um ihre Miene zu verbergen. Wieso fielen mir solche Details bei meiner Schwester auf, obwohl ich nicht mal wusste, was ich ihr zu Weihnachten schenken sollte? Und wieso merkten meine Eltern nichts davon?
Mom entspannte sich, widmete sich wieder ihrem Taco. Dad tat, als hätte er nichts mitbekommen, den Blick auf das Footballspiel im Nebenraum gerichtet.
Nur ich, die ich mich mit der Erkenntnis auseinandersetzen musste, dass ich die Lieblingstochter meiner Mutter war, bemühte mich um sie. Wie kann eine Mutter ein Kind einem anderen vorziehen? Damals hegte ich noch die Hoffnung, dass ich eines Tages einen Mann finden würde, der über mein äuÃeres Erscheinungsbild hinwegsehen und mein wahres Ich erkennen würde. »Die Tacos sind echt lecker, Becky.«
Augenblicklich richtete sie sich wie eine kampfbereite Kobra auf und erhob sich. »Kann man das Wort âºNeinâ¹ irgendwie missverstehen?«
»Okay.« Mir blieb ein Stückchen Taco in der Kehle stecken. »Dann isst du eben keine Tacos. Mir doch egal.« Ich würde ihr nichts mehr anbieten, nie wieder. Konnte sie denn nicht begreifen, dass es nicht meine Schuld war? Warum musste Becky mich bestrafen?
»Es gibt keinen Grund, scharf zu werden.« Ich dachte, Mom meinte mich, aber nein, sie verteidigte mich und klang dabei noch schärfer als Becky.
Daran dachte ich, als ich so dasaÃ, während die Tochter meiner Schwester das brave Mädchen spielte und Popcorn machte. In mancher Hinsicht hatte ich Pech gehabt, in anderer Glück. Mehr als alles andere wünschte ich mir, dass Riley in jeder Hinsicht Glück haben würde.
Am Freitagabend kommt Riley herein, nachdem sie ihre häuslichen Pflichten erfüllt hat, und wischt mit dramatischer Geste über ihre Stirn, als hätte ich sie gebeten, die zwölf Arbeiten des Herkules zu verrichten und nicht einfach nur unser gemeinsames Bad zu putzen. »Meine Woche Hausarrest ist um. Darf ich ausgehen?«
Es stimmt. Seltsamerweise hat sich diese Woche gar nicht so sehr nach Hausarrest angefühlt, eher wie ein kleiner Urlaub mit meiner Nichte. Kurz liegt mir ein »Nein« auf der Zunge. Ich schlucke es hinunter, bevor ich es laut aussprechen kann. »Wohin, mit wem und wie lange?« Schon während der Aufzählung habe ich das Gefühl, als wäre mir mal wieder etwas rausgerutscht, bevor ich mich beherrschen konnte. »Mit Samantha?«
»Sehr witzig. Mit ihr wahrscheinlich nie wieder. Mit ein paar Leuten aus dem Kunstkurs. Die kennst du nicht.«
»Ich kenne alle.« Unsere Schule ist nicht so groÃ.
»Wir gehen nur zu Roryâs Diner.« Sie nennt mir einen beliebten Treffpunkt unserer Highschool-Kids, ein Laden im Fünfzigerjahrestil, mit einer Sitzecke aus einer alten Corvette. Sie zieht etwas über ihre Unterarme, das aussieht wie die Ãrmel eines alten T-Shirts, mit Löchern für die Daumen. Ich merke, dass es genau das ist. »Spätestens um zehn bin ich wieder da.«
Mein Magen krampft sich zusammen. Plötzlich begreife ich die Sorgen von Samanthas Mutter. Wie viel einfacher wäre es für mich, wenn ich Riley bei mir hätte, unter meinem Dach, in Sichtweite, ständig. Aber das geht nicht während der Dialyse, und auch jetzt nicht. »Na, gut.«
Sie verschwindet im Badezimmer, und wie aufs Stichwort hält drauÃen ein Auto und hupt. Riley rennt zur Tür. Ihr schwarzer Lidstrich ist wieder da, und ihre Haare sind glatt gekämmt. Sie trägt schwarze Jeans mit blutroten Doc-Martens-Stiefeln und ein T-Shirt mit bestickter Weste darüber, zusätzlich zu diesen sonderbaren Handschuhen. Sie sieht aus, wie ich mir eine typische Kunststudentin vorstelle, nur mit weniger Piercings. »Bis später.«
Sie hat wieder ihre Rüstung angelegt. Ich sitze kerzengerade auf der Couch. »Warte mal. Wer ist noch dabei?«
Sie springt zur Tür hinaus, eine Gazelle, die vor einem Löwen flieht.
Ich überlege, wie sie sich eigentlich ohne Handy und Computer verabreden konnte. Und woher sie wusste, dass ich es erlauben würde.
Das Telefon klingelt. Es ist Dara. Wir haben nur flüchtig miteinander
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