Die Liebe zur Zeit des Mahlstaedter Kindes
daran denken, dass er schluckte.
Er blieb vor dem Spiegel im Vorzimmer stehen und kontrollierte seine Körperhaltung. Er richtete sich auf, drehte sich hin und her, und sein Spiegelbild tat dasselbe. Dann verlor er die Geduld und wandte sich ab.
Rita kam aus dem Badezimmer.
– Gehst du schon?, fragte sie.
Daniel nickte unsicher. Ja, er ging jetzt. Aber ihm fiel ein, dass er sich noch nicht von Lena verabschiedet hatte, also ging er zurück ins Kinderzimmer und sagte:
– Tschüss dann.
Sie schaute kurz zu ihm auf.
Auf dem Weg zur Arbeit versuchte er, nur an sie zu denken. Einmal hatte sie gegen ihn im Schach gewonnen, ohne dass er sie hätte gewinnen lassen. Damals war sie erst sechs gewesen.
8
Am nächsten Abend drängte ihn Lena, mit ihr in den Garten hinunterzugehen, dort werde gegrillt. Daniel sagte nein, da sie gar nicht eingeladen waren, doch Lena bestand darauf. Herr Greith habe ihr vom Garten aus zugewinkt. Sie solle später doch herunterkommen, er reserviere ihr auch ein feines Stück Kotelett.
Jetzt war es bereits dunkel, und Lena, der von dem Fleisch übel geworden war, war längst wieder nach oben gegangen. Daniel stand mit den anderen Männern aus dem Haus zusammen. Sie unterhielten sich im Lichtder kleinen Lampen, die von einem Bewegungssensor aktiviert wurden. Herr Greith hatte die Anlage vor ein paar Jahren im Hof installieren lassen, damit man in der Nacht nicht stolperte. Sie mussten allerdings alle paar Minuten mit den Armen wedeln und dumm auf und ab hüpfen, damit der Sensor sie erkannte. Vermutlich wäre das Licht auch nicht immer wieder ausgegangen, wenn sie sich ein wenig bewegt hätten, aber dafür waren sie alle zu müde. Die meisten Männer hatten viel Fleisch gegessen und erzählten sich entsprechend obszöne Witze.
Herr Greith sprach von einem Kennenlern-Fest und stellte die neuen Mieter einander so oft vor, bis sie irgendwann auswendig mitsprechen konnten. Unter den Neuzugängen befanden sich auch Gerd und Elfriede Kaiser.
Daniel vermied es, mit ihnen zu sprechen.
Sooft es dunkel wurde, wedelte Greith mit den Armen, sprang auf und ab, und die Männer lachten. Mit einem verspäteten Blinzeln registrierte der Bewegungsmelder die Anwesenheit seines Herrn. Die Waage bekam ihren langen, robenartigen Schatten zurück, der an der Mauer jäh abknickte.
– Ein Hoch auf deine Leibesfülle, sagte Gruber.
– Selber hoch, sagte Greith.
– Lei-bes-fül-le, wiederholte Gruber kichernd.
Gerd Kaiser verschüttete vor Lachen sein Bier und leckte mit der Zunge über sein Handgelenk. Elfriede Kaiser war die einzige Frau, die noch geblieben war. Sie reichte ihm ein Taschentuch, aber er wies es zurück.
Nach einer Weile ging das Licht wieder aus. Greith fluchte und begann zu winken. Da das Licht auf seineWiederbelebungsversuche nicht mehr reagierte, machte er schließlich zwei schwerfällige Hampelmänner.
Gruber applaudierte wild.
– Verdammte Elektronik, sagte Greith. Mir kommt vor, die wird jedes Mal unempfindlicher.
– Sie kennt dich halt schon, sagte Gerd Kaiser in überraschend familiärem Ton.
Greith zeigte ihnen allen den Mittelfinger. Sie kicherten.
Daniel fror. Er steckte die Hände in die Hosentasche und ließ sie dort zwei Fäuste bilden.
9
Die Männer standen noch bis spät in die Nacht beisammen und redeten. Daniel fühlte sich nicht mehr so verloren und ließ sich auf ein Gespräch mit Greith ein.
– Sag mal, wie alt ist eigentlich deine Tochter?
– Zehn, sagte Daniel.
– Ich seh sie immer unten vorbeigehen, sagte Greith anerkennend. Zehn. Sieht mehr aus wie zwölf.
– Ja, in dem Alter wachsen sie schnell, sagte Kaiser. Das macht die Ernährung.
– Kann sein, sagte Daniel.
– Die Fleischprodukte, ergänzte Kaiser.
– Du weißt nicht zufällig, wie viel deine Tochter wiegt?, fragte Greith.
– Ja, und die ganzen Zusatzstoffe, fügte Daniel hinzu.
– Und wenn sie dann noch so viel im Freien sind, sagte Kaiser, da schießen sie in die Höhe wie junge Bäume.Mein Sohn, der überragt mich inzwischen um zwei ganze Zentimeter, dabei ist er erst – also nächsten Monat wird er dreizehn.
– Ja, Kinder, sagte Greith zu sich selbst. So ein echtes Kind zu wiegen, das ist fast schon ein seltenes Vergnügen.
– Ja, sie wachsen sehr schnell, das ist wahr, bestätigte Daniel mit etwas ernsterer Stimme.
– Weil sie sich zieren, sagte Greith zu seinem erhobenen Zeigefinger, der ganz nahe vor seinem Auge schwebte. Wenn es um ihr Gewicht geht, sind sie
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